Das Rad der Geschichte

Vom Laufrad bis zum High-Tech-Velo: Die Ausstellung „Patente Fahrräder Patente“ präsentiert technische und gesellschaftliche Kuriositäten rund ums muskelbetriebene Zweirad

von VOLKER ENGELS

Der Freiherr von Drais vollbrachte Erstaunliches: Den Weg von Straßburg nach Kehl legte der Adlige viermal so schnell zurück, wie es eine rossgetriebene Kutsche vollbracht hätte. Die Öffentlichkeit staunte, dass es möglich war, auf nur zwei Rädern zu fahren, ohne umzukippen. Das war im Jahre 1817. Die Drais’sche Laufmaschine bestand aus zwei Rädern, die durch einen schmalen Holzbalken miteinander verbunden waren.

In einem Akt wahrhaft schöpferischer Genialität entwickelte der Freiherr sein Laufrad später weiter: Auf einem Balancierbrett, das als Stütze diente, konnte der Radwanderer seinen Oberkörper auflegen; ein höhenverstellbarer Sitz und eine Schleifbremse verbesserten den Komfort ins schier Unermessliche. Schließlich, als Höhepunkt der Drais’schen Entwicklung, wurde ein Gepäckträger montiert.

Die Entwicklung des Fahrrades, vom Laufrad des Jahres 1817 bis zum High-Tech-Rad unserer Tage, hat das Europäische Patentamt Berlin und das Deutsche Patent- und Markenamt in einer Ausstellung zusammengefasst, die noch bis Ende Juni in Berlin zu sehen ist. Zahlreiche Sammler, Museen und Unternehmen haben für diese Ausstellung Zweiräder, Plakate, Malerei und Fotos aus zwei Jahrhunderten rund um das Thema Fahrrad zur Verfügung gestellt.

Interessantes kann der Besucher bei seinem Rundgang entdecken: vom Laufrad bis zum ersten Pedalantrieb vergingen immerhin noch fast 30 Jahre. Ein halbes Jahrhundert mussten Radfahrer warten, bis die ersten Drahtspeichen zum Einsatz kamen. Bis dahin waren es vor allem mit Eisen beschlagene Holzreifen, die das Rückgrad der Fahrer malträtierten. Erst im Jahre 1888 konnten sich auch Rückenkranke dem Fahrgenuss ohne Dauerschmerz hingeben: Der Luftreifen war erfunden.

Auch jenseits aller technischer Innovation dokumentiert die Ausstellung eindrucksvoll, dass es ein weiter und steiniger Weg bis zur Fahrradkultur unserer Tage war: In einem Zeitungsartikel aus dem Jahre 1900, der auf der Galerie des Patentamtes ausgestellt ist, beschreibt ein Journalist die erschreckenden Erlebnisse seines Wochenendes. Eine Frau, die in männlicher Begleitung am Sonntagvormittag in München Fahrrad fährt, bietet dem Verfasser der Zeilen „ein ebensoviel Entrüstung wie Ärgernis erregendes Bild.“ „Ohne Scham“, fährt er fort, „und stolz wie eine Amazone ließ die holde Dame sich männiglich ansehen, ihre Fahrt ungeniert fortsetzend.“ Die Frage, „ob auf diese Art dem öffentlichen Sittlichkeitsgefühl ein Faustschlag ins Gesicht versetzt werden darf“, beantwortet der Entrüstete gleich selbst: „Wo bleibt die Polizei?“

Doch auch mit diesem Sittenproblem beschäftigten sich die Erfinder: Eine Klammer aus Metall, ein so genannter Rockhalter, sollte es den Damen ermöglichen, mit langem Rock Rad zu fahren, ohne ihre Beine zu zeigen. Rosige Zeiten, denkt der Betrachter dieser Erfindung, wenn er sich an die moderne Fahradkluft mancher Zeitgenossen erinnert, die in ihrer gnadenlosen Funktionalität eher einem Ganzkörperkondom als einem Kleidungsstück gleicht.

Dass das Radfahren nicht allein der Freizeitbeschäftigung galt, dokumentieren ausgestellte Klappräder, die bereits im Ersten Weltkrieg zum Einsatz kamen. Auf Fotos sind Soldaten zu sehen, die ihr Rad geschultert haben und dabei stolz in die Kamera lächeln.

Doch nicht nur Nostalgiker kommen bei einem Besuch der Ausstellung auf ihre Kosten: Zahlreiche Fahrräder moderner Bauart zeigen den Einsatz neuer Werkstoffe beim Bau der Zweiräder. Gilt heute noch der Aluminiumrahmen als letzter Schrei, werden in Zukunft wohl immer leichtere und festere Faserverbundwerkstoffe eingesetzt werden.

Aber auch natürliche Materialien sind für die Anfertigung von Rahmen geeignet: Ein Fahrradrahmen, dessen Teile aus Bambus bestehen, die mit Harz getränkten Bandagen verbunden sind, wurde 1997 in Österreich als Patent angemeldet.

Die Preise für moderne Fahrräder, die mit hydraulischen Scheibenbremsen, ölgedämpften Stoßdämpfern und High-Tech-Schaltungen ausgestattet sind, belaufen sich auf mehrere tausend Mark. Allzuviel hat sich in den letzten hundert Jahren also nicht verändert: Wer im Jahre 1886 ein Hochrad kaufen wollte, mit dem man in viereinhalb Stunden hundert Kilometer zurücklegen konnte, musste damals bis zu 400 Mark berappen. Nach heutiger Kaufkraft entspricht das dem Preis für einen Kleinwagen.

Die Ausstellung „Patente Fahrräder Patente“ ist noch bis zum 30. 6. 2001 im Europäischen Patentamt an der Gitschiner Straße 97 in Berlin-Kreuzberg zu sehen. Die Ausstellung ist montags bis samstags von 9–18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.