Strukturwandel auf dem Sattel

Rund 400 Menschen arbeiten in Berlin als Fahrradkuriere oder Velotaxi-Chauffeure. Der Trend geht zu Scheinselbstständigkeit und verstärktem Konkurrenzdruck. Vor allem kleineren Firmen könnte bald das Aus drohen

von CHRISTOPH RASCH

Als Jens Grabner 1994 eine Fahrrad-Rikscha durch Berlin fuhr, war er noch ein echter Exot. 1997 gab er das Geschäft auf – und würde es heute nicht noch einmal machen: „Da werden heute Litfaßsäulen spazieren gefahren. Mit der Förderung eines alternativen Verkehrsmittels hat das nichts mehr zu tun.“

Jens Grabner war einer der ersten, die die Rikscha in Berlin etablierten – heute hat die Firma „Velotaxi“ das Monopol auf die Gefährte. Velotaxi ist – trotz anfänglicher Skepsis der Kundschaft – inzwischen zu einem Renner geworden und zum Aushängeschild für die Stadt. Die Rikschafahrer begleiten sogar Senatsdelegationen ins Ausland.

Nicht jeder findet das gut. „Alle stürzen sich auf einen Touristengag“, kritisiert etwa Benno Koch vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), „mit einer hohen Image-, aber geringen wirtschaftlichen Bedeutung.“ Koch meint: „Die Sponsoren- und Fördergelder sollten lieber in das Fahrrad als Verkehrsmittel investiert werden.“ Denn eine besonders fahrradfreundliche Stadt sei Berlin noch lange nicht.

Das Velotaxi ist – nach den immer präsenteren Fahrradkurieren – ein zweiter großer Fahrrad-Beruf in Berlin. Wie viele in diesem Beruf arbeiten, weiß man allerdings nicht. Denn weil es keinen aktiven Dachverband für Fahrrad-Arbeiter gibt, fehlen genaue Zahlen.

Der Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf schätzt, dass etwa 75.000 Berufstätige in Deutschland mit dem Fahrrad ihr Geld verdienen – vom Postboten bis zum Profi-Rennradler. In der Hauptstadt arbeiten rund 200 Menschen als Fahrer einer Fahrradrikscha von „Velotaxi“. Ebenso viele Fahrradkuriere dürfte es in Berlin geben, schätzt Daniel Stecher von der Kurierfirma messenger.

Doch für die Fahrradkuriere brechen harte Zeiten an. Auch Stecher ist wenig optimistisch: „Es findet derzeit ein Preiskampf statt, der für den Markt gefährlich werden kann.“ Die konkurrierenden Firmen bieten ihre Dienste bereits für acht oder neun Mark für eine Kurier-Stadtfahrt an. „Dafür müssen die Kunden aber mitunter lange warten, bis der Bote überhaupt kommt“, meint Stecher.

Eine wirkliche Lobby in den politischen Gremien haben die Kurier-Unternehmen nicht, „da ist auch niemand, der für Qualitätsstandards sorgt“, sagt Stecher.

Die Marktlage bekommen auch die Fahrer zu spüren. „Wer den Job heute noch machen will, muss sich auf ein hartes Brot einstellen“, sagt Arne Mühlhausen. Der 26-Jährige ist seit fünf Jahren im Geschäft. Das hat sich arg verschlechtert, sagt er, die Auftragslage für den Einzelnen sei dünner geworden: „Musste man vor ein paar Jahren noch für drei gleichzeitige Touren seine Route genau planen, stehen jetzt viele Fahrer wartend in der Stadt rum“, sagt er.

Fahrradkurier war für Arne Mühlhausen jedoch immer nur ein Nebenjob – das wird immer schwieriger: „Die Vollprofis verdrängen die Halbtagsfahrer vom Markt.“ Auch sein Arbeitgeber habe ihm schon nahe gelegt, sich auf einen Vollzeit-Job einzustellen. „Das ist Scheinselbstständigkeit in perfekter Form“, sagt Arne, „aber man könnte trotzdem immer noch ganz gut davon leben.

Unruhe brachten auch neue Beschäftigungsmodelle von Fahrradkurier-Firmen: Hier sind die Fahrer direkt am Unternehmen beteiligt.

Branchenkenner halten das jedoch für eine „Mogelpackung, denn unter dem Deckmantel der Genossenschaft sollen Kuriere durch langfristige Knebelverträge an ihre Firma gebunden werden“. „Das hat“, meint auch Benno Koch vom ADFC, „zusätzliche Anspannung in einen umkämpften Markt gebracht“.

Ein Markt, in dem man trotz allem immer noch gut verdienen kann. „Als guter Full-Time-Fahrer kann man seine sechs bis sieben Mark einfahren“, sagt Daniel Stecher. Der Fahrer führt dann rund 30 Prozent oder eine fixe Summe an die jeweilige Kurierfirma ab – und muss sich dafür um Marketing, Buchhaltung und Ausrüstung nicht mehr kümmern.

Daniel Stecher meint, der Preisdruck werde letztlich den Markt regulieren. Denn kleinere Firmen könnten auf Dauer nicht bei den Dumpingpreisen mithalten und gleichzeitig einen Servicestandard bieten – wie etwa kurze Wartezeiten bis zur Abholung einer Sendung.

„Es finden schon jetzt Aufkäufe und Übernahmen statt – es werden einige große Namen überleben, die sich aber auch bundesweit durchsetzen müssen.“ Auch Kooperationen mit Autokurier-Unternehmen oder sogar großen Transportunternehmen hält Stecher für obligatorisch.

Arne Mühlhausen will erst im Winter wieder als Kurier einsteigen: „Da ist der Job zwar anstrengender“, sagt er, „aber der Markt etwas entspannter, weil nicht so viele Fahrer am Start sind.“