Singing in the Rain

Die Fête de la Musique fand dieses Jahr unter erschwerten klimatischen Bedingungen statt. Doch in manchen Szenen erinnerte das Umsonst-und-draußen-Festival sogar an Woodstock. Ein Rundgang

von KIRSTEN KÜPPERS

Bisweilen übertragen sich Gefühle von Menschen auf Tiere und umgekehrt. Am vergangenen Wochenende hatten sich die Schimpansen im Heidelberger Zoo in die Ecken ihres Geheges verkrochen. Den Kopf in die Ellenbogenbeuge geschoben, sahen sie dem herabfallenden Regen zu. Die Tiere taten das mit einem Gesichtsausdruck, dessen Anblick in einer Art Erinnerungsschleife einen auch alle nachfolgenden Tage mit einer seltsam stumpfen Melancholie überziehen sollte. Und es schien schwer vorstellbar, dass Berlin in eine solche Stimmung hinein ausgerechnet ein heiteres internationales Musikfestival platzieren mochte: die Fête de la Musique.

Die Idee dieser weltweit stattfindenden Festivität geht auf den ehemaligen französischen Kulturminister Jacques Lang zurück und besteht darin, dass nun auch in Berlin einmal im Jahr 400 Musikgruppen aus aller Welt in 16 Stadtbezirken auf Freilichtbühnen kostenlos auftreten und das Ganze zu einem wunderbaren Volksfest mit etwa 50.000 Besuchern ausartet.

Etwas skeptisch und verkauzt hatte man sich angesichts dieser Aussichten also am Donnerstag Nachmittag zum Pavillon am Weinbergsweg begeben. Dort sollte zunächst eine Band mit dem Namen „Analfuck“ beweisen, dass auch aus Spandau Punkmusik kommen kann. Und erst nachdem eine laute Cover-Version des AC/DC-Liedes „TNT“ vorbei war und der Sänger ausführliche Überlegungen über den Schweiß seiner Füße angestellt hatte, klärte ein Besucher im Publikum einen darüber auf, dass die Band in Wirklichkeit „Analfunk“ heißt und man das vorher nur falsch verstanden hatte; so wie Menschen ja häufig Worte falsch verstehen und sich unbewusst in merkwürdige Paralleluniversen verabschieden.

Allerdings befindet sich die Punkbewegung seit einem Jahr tatsächlich auch in dieser Stadt wieder im Aufwind. Selbst das Bekleidungshaus Peek & Cloppenburg bietet inzwischen die nötigen Mode-Accessoires an. In Wirklichkeit tat einem indes vor allem der Mann leid, der in der hinteren Ecke der Pavillonterrasse Nudelsalat und Nackensteak verkaufte. Seine Augen blickten sehr ängstlich, und man wusste nicht, ob die Töne der Band oder das Dunkel am Himmel Schuld an dieser Unruhe trugen.

Der weitere Nachmittag und Abend verlief denn auch für einen selbst als eine Art nervöse Reise durch die verschiedenen Musikrichtungen dieser Welt, bei der man sich vorkam wie ein Radio, dem ständig der Sender gewechselt wird: In den Hackeschen Höfen spielten Frauen in grünen Abendkleidern Swing-Klassiker. Im Pfefferberg trat eine sympathische Slackerband namens „Turboking“ auf. Und aus den Lautsprechern vor dem Café mit dem schrecklichen Namen „Chagall“ schlug einem synthetische Technomusik entgegen.

Einzelne Geräuschmomente sind dennoch hängen geblieben. Die wiegenden Country-Lieder im Acud zum Beispiel. Den Sänger meinte man von einer Kreuzberger Geburtstagsfeier wiederzuerkennen. Damals hatte er sich als Jurist vorgestellt und Sketche aufgeführt. Oder „Judith Holofernes“, die inzwischen vor dem Pavillon am Weinbergsweg über die Bühne tanzte. Der Auftritt dieser jungen Frau bekam eine dramatische Note, als plötzlich ein Gewitter wie eine Detonation vom Himmel fiel. Für eine kurze Weile schien die Zeit irgendwie in einer retrospektiven Schlaufe festzustecken: Die Gäste drängelten sich unter den Terrassen-Schirmen wie junge Hunde aneinander; die Stimme der Sängerin erinnerte stark an die frühe Ina Deter; während ein Mädchen, das in langen, übereinander geschichteten Röcken durch den Regen sprang, einen auf lächerliche Weise an den Woodstock-Film denken ließ.

Später musste man dann natürlich noch in den Mauerpark. Dort sang die erfolgreiche Reggae-Band „Seeed“ ihren Hit „Dickes B“, eine Art Liebeserklärung an die Großstadt, in dem es vornehmlich darum geht, „dicke Rohre“ zu bauen und „dicken Smoke durchs Brandenburger Tor“ zu blasen. Diese provozierenden Sätze stießen bei den Zuhörern auf explodierende Begeisterung. Hinter den Weddinger Wohnblocks ging die Sonne unter. Wir schätzten das Publikum auf rund zehn Millionen Menschen.