Sozialisten vor neuem Sieg

Morgen wird in Albanien ein neues Parlament gewählt. Nach einem friedlichen Wahlkampf hat die Regierung gute Chancen, erneut die Mehrheit zu erringen

BERLIN taz ■ Die Armee hat mit 350 Sonderkommandos und einer militärischen Polizei-Sondereinheit in der albanischen Hauptstadt Tirana Stellung bezogen. Vor dem Parlament, dem Regierungssitz sowie staatlichen Fernseh- und Rundfunkstationen. Vorsichtshalber. Morgen finden Parlamentswahlen statt. Jüngsten Umfragen zufolge können die regierenden Sozialisten unter ihrem Chef Fatos Nano mit 46 Prozent, die oppositionelle Mitte-rechts-Koalition „Bündnis für den Sieg“ von Expräsident Sali Berisha mit 42 Prozent der Stimmen rechnen.

Außer dem Mord an einem Politiker der Demokratischen Partei Berishas vor einer Woche in Lushnje und einem Angriff von Scharfschützen auf eine Polizeistreife Anfang des Monats in Lac, bei der ein Polizist getötet wurde und drei verletzt wurden, herrscht eine entspannte Atmosphäre – was Aldrin Alipi, Sprecher der Zentralen Wahlkomsission, mit den Worten umschrieb, dieses sei der beste Wahlkampf gewesen, den Albanien jemals gehabt habe.

Das war vor vier Jahren noch anders. Nach dem Zusammenbruch von Finanzpyramiden hatte sich ein Großteil der Albaner – nunmehr ihrer Ersparnisse beraubt – bewaffnet und das Land an den Rand eines Bürgerkriegs gebracht. Die Wahlen, die auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen stattfanden, musste eine internationale Friedenstruppe absichern. Nach dem Votum hatte der unterlegene Berisha zu gewaltsamen Protesten aufgerufen.

Jetzt herrschen offenbar zivilere Umgangsformen. Besonders Sali Berisha hat Kreide gefressen. So sprach er sich unlängst für eine Beilegung gewaltsamer Konflikte auf dem Balkan durch Verhandlungen und eine Unabhängigkeit des Kosovo aus. Überdies wollen die Demokraten die Wähler mit dem Versprechen ködern, die Steuern zu senken, die Renten zu erhöhen sowie einen monatlichen Mindestlohn von umgerechnet 230 Mark einzuführen. Doch ganz so vollkommen, wie er glauben machen möchte, ist Berishas Metamorphose nicht. So kündigte er bereits an, das Ergebnis vom kommenden Sonntag nur akzeptieren zu wollen, wenn die Wahlen „frei und fair“ verliefen.

Demgegenüber versuchen die Sozialisten unter der Ägide des 31-jährigen Regierungschefs Ilir Meta, der sich guter Beziehungen zu den USA und der EU erfreut, beim Wähler mit ihren wirtschaftlichen und politischen Erfolgen zu punkten. Immerhin ist es der Regierung gelungen, die politischen Institutionen zu stabilisieren, wenngleich Reformen des Justizapparats immer noch ausstehen. Die Inflation ist auf 2 Prozent gefallen, das jährliche Wirtschaftswachstum liegt bei 7 Prozent. Doch bei einer Arbeitslosigkeit von rund 20 Prozent und Durchschnittsgehältern von umgerechnet rund 180 Mark im Monat, leben die meisten Albaner am Existenzminimum. Auch die Korruption, die in den staatlichen Stellen weit verbreitet ist, haben Ilir Meta und seine Mannschaft immer noch nicht in den Griff bekommen.

So sehen die Albaner einem ruhigen Wahltag entgegen – wäre da nicht das Wahlgesetz. Dieses sieht vor, dass von den 140 Parlamentssitzen 100 als Direktmandate und 40 über Parteilisten vergeben werden. 120 Kandidaten, die als so genannte Unabhängige antreten, werden aber von den beiden großen Parteien, der Sozialistischen und der Demokratischen Partei, offiziell gesponsert. Obwohl die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Bedenken geäußert hat, steht ein Machtwort der Zentralen Wahlkommission noch aus. Und es könnte passieren, dass eine Stimmabgabe für diese Kandidaten nachträglich für ungültig deklariert wird. Änderungen des Wahlgesetzes noch während oder auch nach der Wahl – das wäre in Albanien nicht das erste Mal. BARBARA OERTEL