Melancholie der Großstadt

■ Guido Koster wirft „Indiskrete Blicke“ auf eine großstädtische Straßenecke: Lesung bei den Autorentheatertagen im Thalia in der Gaußstraße

Nach Poptheater hört sich das nicht an. Dafür sind schon mal die Protagonisten viel zu alt: „Odella, 50 Jahre, Abram, 50 Jahre, Luis, 60 Jahre, Federman, 45 Jahre“. Die frühere Prostituierte, ihr ehemaliger Zuhälter, ein Geiger und ein Passant begegnen sich nachts an einer Straßenecke in einer namenlosen Großstadt. Voller Melancholie und absurdem Humor steckt dieses bislang noch unaufgeführte Stück von Guido Koster, das jetzt als Lesung am Thalia zu hören ist. Man fühlt sich an Beckett und das Paris der dreißiger Jahre erinnert. Alles ist ein bisschen schräg und seltsam.

Ein bisschen seltsam fühlt sich auch Guido Koster zwischen all den jungen Dramatikern, die wie er zu den ersten Hamburger Autorentheatertagen am Thalia eingeladen worden sind. Denn Koster, Jahrgang 1962, gehört weder zur Generation Golf noch schreibt er Geschichten über „Konsum- oder Drogenrausch“.

Den in Berlin lebenden Autor interessieren Abhängigkeiten, Hierarchien und Machtstrukturen – Themen, die er auch in Indiskrete Blicke sehr verschlüsselt aufwirft. Da versuchen zwei Menschen, sich aus festgefahrenen Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien, zunächst mit zweifelhaftem Erfolg.

Wäre da nicht ihr Oppositionsgeist, Kosters zweites Lieblingsthema. Acht oder neun Stücke hat der in Trier geborene Autor bereits verfasst. „Geradezu pädagogisch“, so meint er selbstkritisch, würde er in vielen Werken zum Widerstand aufrufen. Und damit so manchen Dramaturgen verschrecken. Doch Koster wehrt sich weiter gegen den herrschenden Zeitgeist, der so tut, als gebe es keine Machtstrukturen mehr. Flache Hierarchien, Teamgeist und Fun – wenn Vorgesetzte von ihrem Unternehmen routiniert wie von einem „Ferienlager“ sprechen, glauben es die Angestellten bald selber. Auch mit der seit einiger Zeit theaterszenenweit um sich greifenden Klassifizierung nach „Jung“ und „Alt“ im Theaterbetrieb kann Koster nichts anfangen.

Nach solchen Kriterien ist der Autor, der 1996 den ersten Kleistförderpreis für junge Dramatiker gewann, eindeutig ein alter Hase. Seit zehn Jahren kann er vom Schreiben leben. Er verfasst Hörspiele, etwa für die Kindersendung Ohrenbär –und bekommt momentan zwei Stipendien, de facto allerdings nur eins. Geldgeber Nummer zwei, der Berliner Senat, lässt seit März mit den Zahlungen auf sich warten. Da kommt die Einladung aus Hamburg gerade recht.

Karin Liebe

Lesung „Indiskrete Blicke“, 3. Juli, 18 Uhr, Thalia, Gaussstraße 190