: Bedrohlich im Ohr
Gegen Windböen kämpfen: Im Großen Wasserspeicher in der Belforter Straße werden in der Ausstellung „Reservoir V – Aerotektura“ Arbeiten von Künstlern gezeigt, die sich mit dem nicht leicht zu fassenden Phänomen Luft beschäftigen
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts stank die Berliner Luft zum Himmel, denn das Abwasser landete in den Rinnsteinen. Erst 1873 begannen Arbeiten für ein Kanalisationssystem. Trinkwasser kam aus Pumpen, ab 1852 wurde die erste öffentliche Wasserversorgungsanlage Berlins errichtet. Sichtbare Zeichen: die Wasserspeicher.
Heute stehen viele leer und ungenutzt. An der Belforter Straße finden sich zwei solcher architektonischen Denkmäler, die nun für ein paar Wochen Kunst beherbergen – nicht zum ersten Mal. Im Rahmen der Projektreihe „Reservoir“ des „Förderband Kulturbüros“ sind zum dritten Mal Musiker, bildende und darstellende Künstler eingeladen, sich mit der Architektur der größtenteils unterirdisch angelegten Bauten auseinander zu setzen. „Reservoir III“ begann 1999 damit, die vier Elemente Wasser, Erde, Feuer und Luft zu untersuchen. Im letzten Jahr widmeten sich die unterschiedlichen Disziplinen allein dem Element Erde. Für „Reservoir V – Aerotektura“ ist die Luft Gegenstand künstlerischer Positionen: Im Großen Wasserspeicher haben dreizehn Künstler versucht, das schwer fassbare Element mit Installationen sichtbar werden zu lassen.
Cyrill Tobias erinnert mit seiner Arbeit daran, dass Luft bedrohlich in Menschenohren klingen kann. Es rauscht geheimnisvoll und unerklärlich in dunklen, engen Gängen, in denen transparente Luftskulpturen, die an Lindwürmer erinnern, immer wieder sich aufbäumen und zusammensacken. Für seine Arbeit „Luftzug“ hat Sergej Alexander Dott sieben Szenarien der Luftbedrohung entworfen. Da kämpfen Spielzeugsoldaten im Giftgaskrieg, Vögel gegen Windböen aus dem Ventilator und ein Plastikfisch gegen echte Wasserwellen an. Luft, so zeigen die verspielten wie makabren Miniinstallationen, hat sehr unterschiedliche Facetten. Auch Luftschlösser gehören dazu: So hat Herbert Eugen Wiegand eins aus Styropor gebaut, wenn auch nur rudimentär, als würde eine Seifenblase zerplatzen.
Klänge aber können nicht auseinander bersten. Vielleicht hat sich Torsten Anders deshalb für seine verwirrende Klanginstallation „Echospiele“ entschieden: Man weiß nie so genau, woher der nächste tiefe, angenehme Ton gerade kommt. Von links, von rechts? Der Schall und mithin die Luft, die ihn trägt, schlägt einem im kalten, kreisförmig angelegten Labyrinth des Wasserspeichers ein Schnippchen.
Neben den mitunter märchenhaft anmutenden Installationen aus Licht, Klang und Luft im Großen Wasserspeicher gibt es in dessen kleinerem Pendant Arbeiten von Künstlern aus anderen Sparten. Hinter „Schwebende Zeit“ verbirgt sich ein Konzert mit experimentellen Musikinstrumenten. „Ur-Sprung“ vereint Stimme und Bewegung, digitale Klänge, Licht-, Film- und Diaprojektionen zu einer musikalisch-visuellen Inszenierung. „AeroForce – Meister der Winde“ nennt sich ein musikalisches Klangexperiment mit den Elementen Luft und Wasser.
Und mit „Aeronauten“ kommt ein „Windstück“ zur Uraufführung, in dem Erfahrungen von Windexperimenten in der Wüste und philosophische wie physikalische Recherchen einfließen: Der Wind steht für Freiheit, Veränderung und Phantasie. Er kann warm sein, sanft, fast zärtlich. Er kann aber auch eiskalt sein, messerscharf, und ungeheure Kräfte entwickeln. Wind ist wie Leben. ANDREAS HERGETH
Bis 5. 8., Di–So 15–21 Uhr, Großer Wasserspeicher Belforter Straße, Prenzlauer Berg, Informationen, Termine und Kartenvorbestellungen: 28 59 97 37. (Pullover mitnehmen, die Speicher sind auch im Sommer sehr kühl!)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen