Ankunft im gottlosen Berlin

Heute wird die Apostolische Nuntiatur des Papstes in Berlin eingeweiht. Die Vatikan-Botschaft war in der Hauptstadt nicht sehr willkommen – und schleppt eine alte, unselige Geschichte mit sich herum

von PHILIPP GESSLER

Das ist wohl die ganz alte Schule. Der Bitte, sich für den Fotografen neben die Büste „seines Vorgängers“ Eugenio Pacelli zu stellen, folgt Erzbischof Giovanni Lajolo freundlich, stutzt dann kurz und stellt lachend klar: „Meines Vorgängers als Nuntius!“ Der vatikanische Spitzendiplomat hat natürlich Recht. Pacelli, der spätere Papst Pius XII., war zwar sein Vorgänger als Vertreter des Heiligen Stuhls in Deutschland – ihn jedoch in anderer Hinsicht als Vorgänger zu bezeichnen bedeutete im Umkehrschluss, das Papstamt anzustreben. Und das tut man als Kirchenfürst natürlich nie. Zumindest nicht öffentlich. Zumindest nicht als Diplomat. Und schon gar nicht wenige Tage vor diesem großen Ereignis.

Denn das wird der heutige Tag in Berlin werden: Nach fast 60 Jahren wird in der deutschen Hauptstadt feierlich die Apostolische Nuntiatur des Papstes eingeweiht. Das ist so etwas wie die Botschaft des Vatikans, der die älteste diplomatische Tradition der Welt hat und dessen Nuntius traditionell der Sprecher, der „Doyen“ der Diplomaten aller Länder ist: Nach dem Antrittsbesuch beim Bundespräsidenten ist für neue Botschafter ein Treffen mit dem Nuntius üblich. Auch wegen dieser Tradition soll der bündnisgrüne Außenminister Joschka Fischer bei der Eröffnung dabei sein, ebenso Innenminister Otto Schily (SPD). Etwa ein Dutzend Bischöfe werden zum Festakt erwartet – vor allem soll der „Außenminister“ des Papstes und die Nummer zwei in der Rangfolge der Weltkirche kommen: „Seine Eminenz Angelo Kardinal Sodano. Staatssekretär Seiner Heiligkeit“, wie es in der Einladung heißt. Er gilt als „papabile“, als ein möglicher Nachfolger des Papstes.

Doch ebenso wenig wie darüber wird man auf dem großen Empfang sicherlich über all die schlechten Erinnerungen reden, die mit der Eröffnung des weißen Sandsteingebäudes im Arbeiterbezirk Neukölln hochkommen. Immerhin, kurz zuvor spricht sie Monsignore Ewald Nacke, der Pressemann der Nuntiatur, noch an – von sich aus. Es ist die „Hochhuth-Geschichte“, wie sie der Geistliche verschämt in der noch neu riechenden Kapelle der Nuntiatur nennt. Diese Geschichte ist so unschön, dass selbst die warmen Fenster des Glaskünstlers Wilhelm Buschulte und die feinen Bronze-Arbeiten Cecco Bonanottes („ein Geschenk an den Papst – wäre sonst nicht zu bezahlen“) ihren Glanz verlieren: „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth, uraufgeführt 1963 hier in Berlin, klagte Pacelli an, als Pius XII. angesichts des Völkermordes der Nazis an den Juden völlig versagt zu haben. Er habe aus diplomatischer Vorsicht auf einen klaren und lauten Protest gegen den Holocaust, von dem er wusste, verzichtet, mithin Mitschuld an der Schoah auf sich geladen.

Das Stück „ging total in die verkehrte Richtung“, sagt der Monsignore mit überraschender Verve in der Kapelle: Selbst jüdische Historiker bezeugten, dass niemand so viele Juden gerettet habe wie Pius XII. In kirchlichen Häusern seien Hunderttausende versteckt worden. Pius XII. soll den Entwurf eines von allen Kanzeln zu verlesenden Rundschreibens gegen die Judenverfolgung zerrissen haben, weil die Nazis auf ähnliche Proteste niederländischer Bischöfe mit verstärkter Hatz auf die Juden geantwortet hätten – all dies kommt hoch, wenn in Berlin eine Nuntiatur eingeweiht wird.

Dazu muss man wissen, dass die Stadt an der Spree für die traditionsbewusste katholische Kirche nie ein leichter Ort war: Im Kulturkampf Bismarcks Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Katholiken im Zentrum des protestantischen Preußen wenig zu lachen – und dass Bauverordnungen festlegten, ihre Gotteshäuser dürften nicht frei stehen, sondern nur eingefügt in die Häuserzeile, war da noch die harmloseste Schikane. Deshalb wurde auch erst 1920, kurz nach Gründung der Weimarer Republik, die erste Nuntiatur in Deutschland eingerichtet. Vorige Nuntiaturen auf deutschem Boden gab es seit 1529 – für das gesamte Reich aber waren sie nie zuständig.

Monsignore Nacke erläutert denn auch vor der zentral positionierten Büste Pius XII. im Empfangssaal der Nuntiatur, dass ausgerechnet Pacelli der erste Nuntius für ganz Deutschland war: zuerst in München residierend, ab 1925 dann in Berlin, als ein neues Gebäude in der Rauchstraße eingeweiht wurde. Pacelli war es auch, der bis 1939, als er zum Papst gewählt wurde, hier in Berlin mit den Nazis zu tun hatte, die er schon aus seiner Münchener Zeit kannte. Das hinderte Pacelli jedoch nicht daran, mit ihnen 1933 ein Konkordat zu schließen – der erste völkerrechtliche Vertrag, den die braunen Machthaber, weltweit geächtet, unterzeichneten: ein ungeheurer Prestigegewinn für das NS-Regime, der Durchbruch für die diplomatische Anerkennung der Diktatur weltweit. Monsignore Nacke sagt dazu, in einem Konkordat würden eben die Beziehungen zwischen Kirche und Staat geregelt. Pacelli habe für die Kirche einen Schutzwall gegen die Nazis aufbauen wollen.

Vergeblich. Vielleicht auch deshalb gilt der Vertreter-Posten in Deutschland im Vatikan noch heute als heikel. Nicht weniger als 17 Regierungen auf Landes- und Bundesebene machen das diplomatische Geschäft nicht gerade einfach. Mit dem Land der Reformation tut man sich sowieso schwer. Seit dem Vatikanpapier „Dominus Iesus“, das den evangelischen Kirchen ihr Kirchesein bestritt, ist der Ton der Protestanten gegenüber Rom gereizter geworden. Und selbst die katholischen Bischöfe galten über Jahre in Rom als renitent: Ihren wohlüberlegter Weg im System der staatlichen Schwangerenkonfliktberatung hat der Papst schlicht abgewürgt. In dieser Streitfrage und bei nur murrend hingenommenen Bischofsernennungen durch den Papst soll die Nuntiatur in Bonn eine unrühmliche Rolle gespielt haben. „Denuntiatur“ nennen deshalb Kritiker die Institution. In Bonn, wo sie 50 Jahre angesiedelt war, hatte die Nuntiatur ihren Sitz in einer ehemaligen BDM-Ausbildungsstätte, wie Monsignore Nacke mit feinem Lächeln erzählt. Etwa 80 Prozent der Einwohner der kleinen Stadt am Rhein sollen katholisch sein.

Die neue Hauptstadt ist deshalb für die Nuntiatur auch ein Kulturbruch. Hier im „gottlosen Berlin“, wie ein altes Schlagwort die Stadt nennt, ist kaum mehr als ein Drittel der Einwohner Mitglied der beiden Großkirchen. „Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht“, zitierte der Kölner Kardinal Joachim Meisner kurz vor dem Regierungsumzug beim Abschiedsgottesdienst für die Bonner Regierungsleute in deren Münster 1999 den Psalm 23, „ich fürchte kein Unheil, denn du bist bei mir.“

Das kam über die Nuntiatur in Form einer Bürgerinitiative von etwa 60 Berliner Nachbarn, die gegen die Errichtung der Vatikanvertretung protestierten. An die 2.200 Unterschriften sammelten sie gegen den Bau, der an dieser Stelle ihrer Ansicht nach gar nicht hätte erbaut werden dürfen. Die Anwohner sahen hier am Volkspark Hasenheide zudem die Nussbäume bedroht, die scheinbar dem Neubau im Weg standen, ebenso die „Kleinsäuger“ und eine Nachtigall. Sie fürchteten eine Änderung des „Kleinklimas“ der Gegend, wozu der BUND ein Gutachten schrieb.

Die BI zog sogar vor Gericht – und unterlag. Der Unternehmensberater Peter Müller-Schaefer, der schräg gegenüber der Nuntiatur wohnt, betont heute, sie seien damals keine „verbissenen Ökofreaks oder Kirchenfeinde“ gewesen. Aber als einen „sportlichen Wettkampf“ habe man die Auseinandersetzung mit dem Stellvertreter Christi schon gesehen. Nun habe sich die BI jedoch aufgelöst: „Vorbei ist vorbei.“ Auch der Monsignore gibt sich versöhnlich: Ein „recht angenehmes Miteinander“ habe es neulich bei der Messe in der angrenzenden St.-Johannes-Basilika gegeben. Die mächtige Rosette der größten katholischen Kirche der Stadt ist durch das Glasdach über dem Empfangssaal der Nuntiatur zu bewundern – wohl das architektonische Highlight des Neubaus.

Und so endet diese Geschichte, die so vermurkst begann, vielleicht doch glücklich: Als der Papst 1996 bei seinem Besuch in Deutschland mit dem Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, damals noch nicht Kardinal, mit dem Hubschrauber über Berlin flog, sagte er zu ihm beim Blick auf die historischen Bauten der Hauptstadt: „Bischof Lehmann, wissen Sie, was der Papst – auch als polnischer Bischof – denkt, wenn er nach Berlin kommt: Berlin – das ist der Inbegriff von Preußen, das ist ganz dichte Gegenwart der Zeit des Nationalsozialismus, das ist lebende Erinnerung an den deutschen Kommunismus. Und da muss ich hin, da muss der Papst hin.“ Heute ist er angekommen.