„Ich will die Junkies nicht mehr“

■ Nach Überfällen im Viertel grassiert die Angst: Besonders Geschäftsfrauen fühlen sich allein gelassen und fordern mehr Polizei / Die tolerante Stimmung gegenüber Drogenabhängigen scheint gekippt / Viele fürchten: Das Viertel geht den Bach runter

300.000 Volt verspricht der Elektroschocker, der im Schuhladen „Avanti“ unter der Theke liegt. „Ich bin ein Meter achtundfünfzig“, sagt die Frau dahinter, „wenn hier einer reinkommt und will mir ans Leder, kann der das.“ 300.000 Volt sollen ihn abhalten und Gunda von Schmude das Gefühl geben, sie könne sich wehren. Weglaufen kann sie nämlich nicht. Der kleine Laden am Ostertorsteinweg hat vorne einen Eingang, es folgt der schmale Verkaufsraum, links hölzerne Regale mit Schuhen und Taschen, rechts das Gleiche, am Ende eine Wand, dahinter ein Schreibtisch, Fenster, vergittert.

Eine Falle im Fall des Überfalls. Vor dem hat Gunda von Schmude Angst. Jetzt mehr denn je: Vor zwei Wochen wurde eine Frau wenige Läden weiter überfallen. Die Frau ist Lolo Dinné. Gestern vor zwei Wochen steht sie in „Evas Laden“ in der Wulwesstraße alleine hinterm Thresen, als plötzlich ein Mann neben ihr auftaucht, ihr ein Messer an den Hals hält, Geld will und droht: „Eine falsche Bewegung und ich stech dich ab – mir ist alles egal.“ Mit dem Geld haut er ab, Lolo Dinné rennt zur Tür, schreit um Hilfe, alle glotzen, kaum einer kommt, wenig später fällt sie in Ohnmacht. Der Mann ist ein Drogenabhängiger. „Unter Hochstress“ habe er gestanden, erinnert sich Dinné. Sie arbeitet wieder bei ihrer Freundin im Laden, aber jetzt hat sie Angst. Jedes Geräusch lässt sie aufschrecken. Sie schläft schlecht. „Ich habe mir nicht vorgestellt, dass das so eine Beeinträchtigung ist. Ich dachte, das steckt man leichter weg.“

Und jetzt reicht es Lolo Dinné. Seit 26 Jahren lebt sie im Viertel. „Die Drogenprobleme begleiten uns die ganze Zeit.“ Sie erzählt von Einbrüchen und von verbarrikadierten Häusern. Und von einer Haltung, die nun offenbar zu kippen beginnt, vielleicht schon gekippt ist: „Die Stimmung gegenüber den Abhängigen war immer: Diese Leute sind arm und krank, man muss verstehen, dass sie so leben.“ Auch Lolo Dinné schwankte „zwischen Mitleid und Aggression.“ Doch nun hat sich was verändert. „Jetzt, wo die Angst dazugekommen ist, muss ich sagen: Es gibt Grenzen.“ Sie will mehr Polizeipräsenz, aber fast scheint es, als sei ihr das peinlich. „Linke Altlast“ habe mal ein Freund zu solchen Ressentiments gesagt. „Früher hätte sich niemand getraut zu sagen, ich will die Junkies nicht mehr“, sagt sie, „aber jetzt sagen es immer mehr.“

„Bierdosen, Penner, Pisse“ nerven die Frau in dem bunten Laden „Confetti“. „Es macht keinen Spaß mehr, hier zu arbeiten.“ Angst vor Junkies habe sie weniger, aber die verdürben das Straßenbild. Sie sieht das Viertel den Bach runtergehen. Und ihren Laden vielleicht auch. „Wer weiß, wie lange ich noch durchhalte.“ Und Angela Hirschfeld, die ein Gymnastikinstitut im Steintor hat, erklärt: „Meine häufig aus anderen Stadtvierteln kommenden Kunden bleiben weg. Sie sind abgeschreckt von dem unzumutbaren Dreck und den Ansammlungen von Alkoholikern und Junkies sowie deren Hunden.“

Schreien möchte sie, schreibt eine weitere Frau, Gerburg Rohde-Dahl, an die taz, erinnert an den Kampf gegen die Mozarttrasse und „die da oben“ und fragt: „Was soll noch alles passieren? Es kann nicht angehen, dass wir uns gegen ,die da unten', für die wir uns immer eingesetzt haben, jetzt nicht wehren dürfen, wenn sie uns bedrohen.“

Die Behördenseite gibt sich alarmiert. Die Gewaltbereitschaft habe zugenommen, sagt ein Polizeisprecher, aber nicht nur in Bremen, sondern überall. Und zitiert Peter Sloterdijks These von einem gesellschaftlichen Bedürfnis nach „höher dosierten Sensationen.“

Innenstaatsrat Kuno Böse habe mehr Polizeipräsenz für die Sommermonate angeordnet, so Ressortsprecher Markus Beyer, „um die offene Szene zu verunsichern.“ Gerade für Wiederbelebung der drei leerstehenden Läden am Junkietreff Sielwallkreuzung solle vielleicht die Wirtschaftsförderung Geld locker machen, die Gehwege sollen zusätzlich gereinigt, die Öffnungszeiten der Drogenberatungsstelle im Tivolihaus erweitert werden – all das werde gerade verhandelt. Ortsamtsleiter Robert Bücking hätte am liebsten, dass die Polizei in einen der Läden am Sielwalleck einzieht und – ähnlich wie bei Karstadt in der Obernstraße – Präsenz zeigt. Er will die betroffenen Frauen zum Gespräch mit ihm und der Polizei einladen, und das bald, um zu zeigen, wie ernst er ihre Sorgen nimmt.

Die Geschäftsfrauen sind derweil skeptisch. Während Gunda von Schmude in ihrem Schuhladen beim Wort „Beirat“ nur die Augen verdreht, will Lolo Dinné den Termin noch abwarten. Und dann? Sie zuckt mit den Schultern, erinnert an frühere Projekte einer „Bürgerwehr“ und das damit verbundene Geschrei. Soviel wohl nicht. „Aber irgendetwas“, sagt sie, „wird passieren.“

Susanne Gieffers