Käufliche Madonna

taz-Serie „Schrille Läden“ (Teil 2): Das „Ave Maria“ in der Potsdamer Straße bietet allerlei religiöse Devotionalien feil. Und über 40 Sorten Weihrauch

von DANIEL FERSCH

Ein Hauch von Lourdes schwebt durch das Ladengeschäft mitten in Tiergarten. So ähnlich muss es in einer mediterranen Wallfahrtskirche sein: Weihrauchduft vernebelt dem Besucher die Sinne, aus allen Ecken blinkt und blitzt es aus Madonnenaugen und von silbernen Kruzifixen, zahlreiche wundersame, bunte Dinge drängen sich an Wänden und Decke. Nur das helle Tageslicht, das durch die großen Schaufenster dringt, erinnert den Besucher daran, dass er sich im Haus neben dem Tagesspiegel befindet.

Diese barocke Pracht mitten im eher nüchternen protestantischen Preußen sorgt für Aufsehen. Reihenweise bleiben Passanten stehen und linsen verwundert auf die bunte Auslage. Selbst für manchen gläubigen Besucher ist der religiöse Glitzertand zu viel. „Die 60-jährigen deutschen Katholiken haut’s um, wenn die bei uns reinkommen“, erzählt Ulrike Schuster mit hörbar schwäbischem Einschlag. Die ehemalige Latein- und Geschichtslehrerin betreibt das „Ave Maria“ zusammen mit ihrem Geschäftspartner Dieter Funk seit 1996. Zusammengeführt haben sie ihre gemeinsame Herkunft aus dem schwäbischen Rottweil, ihre religiöse Begeisterung und die fehlende Scheu vor Kitsch. Eine verständliche Neigung, wenn man in einem stockkatholischen Landstrich, umgeben von Barockkirchen voller Fresken und Putten, aufwächst.

„Seit dem 2. Vatikanischen Konzil ist zu viel Prunk in den Kirchen eher verpönt“, doziert die ehemalige Lehrerin. „Wir wollen den Glauben wieder bunt machen.“ Das Ave Maria also als Keimzelle einer neuen Mission? „Nein“, streitet Schuster ab, „aber es ist heutzutage schon mal was, sich hinzustellen und zu sagen: Ich bin Christ!“ Den meisten Kunden geht dieses Sendungsbewusstsein jedoch ab. Neben einigen Priestern und Pastoren, die sich hier mit Weihrauch und Kerzen eindecken, wird der Laden häufig von Filmausstattern und Gruftis frequentiert.

„Einer hat einmal einen Haufen von denen gekauft“, erzählt die Besitzerin, während sie in einem dicken Ordner voll Andachtsbilder blättert, „um damit den Himmel seines Autos zusammen mit Strafzetteln beklebt.“ Das Sortiment ist ein wunderliches Sammelsurium. Da gibt es Votivgaben, kleine Anhänger aus Weißblech, auf denen erkrankte Körperteile dargestellt sind und die von Pilgern in der Hoffnung auf Heilung an Wallfahrtsorten geopfert werden. Oder für Gläubige ohne Schutzengel den winzigen Taschenaltar im Lederetui mit dem Hinweis: „Ich bin Katholik – rufen Sie im Notfall einen Priester!“

Stolz sind die Besitzer jedoch auf die 40 verschiedenen Sorten Weihrauch, die, in Gläser abgefüllt, ein ganzes Regal füllen. Besonders exotisch: die Sorte „Drachenblut“, die tatsächlich Klumpen von geronnenem Blut ähnelt, jedoch nicht aus Fabeltieren, sondern aus den Früchten des Drachenblutbaums gewonnen wird.

Ave Maria, Potsdamer Str. 75, Tiergarten. Mo.–Fr. 12–19 Uhr, Sa. bis 15 Uhr