Botschafter der Bäume und Flüsse

Der indische Umweltschützer Bahuguna kämpfte einst mit Gandhi und versucht jetzt, deutsche Politiker aufzuklären

In modernen Gesellschaften haben die Menschen viel Wissen, keine Weisheit und kaum Leidenschaft“, sagt Sundalal Bahuguna. Mit seinem weißen, langen Bart sieht der 75-jährige nordindische Umweltschützer aus wie ein Guru. Doch Bahuguna versteht sich vor allem als Botschafter seiner Region, aus der er diese Woche höchstpersönlich nach Berlin „pilgerte“, wie er es nennt.

In der deutschen Hauptstadt traf der in Indien hoch angesehene Bahuguna mit Politikern aller Bundestagsparteien und mit Beamten der vier Ministerien zusammen, die gemeinsam über die Vergabe einer umstrittenen Hermes-Exportbürgschaft für den nordindischen Tehri-Großstaudamm entscheiden. „Deutsche Steuergelder sollten nicht dafür verwendet werden, in Indien Menschen ins Elend zu stürzen“, sagt Bahuguna. „Die Deutschen sollten lieber helfen, den Himalaja aufzuforsten. Dann wäre jeder Baum ein Botschafter Deutschlands.“

Der 1987 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnete Umweltschützer kämpft seit Jahren gegen den Tehri-Damm, für den der Siemens-Konzern bei der Bundesregierung eine Exportbürgschaft über 70 Millionen Mark für eine Schaltanlage beantragt hat. Zuletzt hatten im April Dorfbewohner den Bauplatz 350 Kilometer nördlich von Delhi über drei Wochen besetzt, bis sie von der Polizei geräumt wurden. Bahuguna wurden verhaftet.

Gefängnisaufenthalte sind für den friedlichen Widerstandskämpfer nicht ungewöhnlich. Bereits als 17-Jähriger wurde er erstmals verhaftet, weil er als Mitstreiter Mahatma Gandhis aktiv für die Unabhängigkeit eintrat. Später kämpfte er für die Rechte der Kastenlosen und gegen Alkohol, bevor er in den 60er-Jahren die Grundlagen für die Chipko-Bewegung legte. Diese Bewegung, die übersetzt „Bäume umarmen“ heißt, setzte sich in den 70er-Jahren gegen die Abholzung im Himalaja zur Wehr, bis sie 1981 ein Einschlagsverbot durchsetzten konnte.

Der Politikwissenschaftler und Historiker Bahuguna hatte 1956 seine Erfolg versprechende Karriere in der Kongresspartei abgebrochen und sich ganz sozialen Bewegungen gewidmet. In der Tradition Gandhis machte er lange Fußmärsche, so lief er in den 80er-Jahren fast 5.000 Kilometer von Kaschmir nach Kohima entlang des Himalajas, oder er wanderte durch Deutschland, Österreich und die Schweiz, wobei er mit seinem Eintreten für die Umwelt „die Bäume zum Sprechen bringen“ wollte.

Wie der Mahatma ist auch Bahuguna sehr prinzipienfest, was seine Gegner stur nennen würden. Schon mehrfach brachte er Regierungen mit Hungerfasten in Bedrängnis. So musste Indiens Regierung einlenken, nachdem Bahuguna in Hungerstreiks eine Untersuchungskommission zum Tehri-Damm gefordert hatte. Der heute halbfertige Damm soll 260 Meter hoch werden und wird 100.000 Menschen vertreiben. Abgesehen davon, dass die Umsiedlungsfragen ungeklärt sind, fürchten Kritiker wie Bahuguna um die Sicherheit, weil der Damm in einem Erdbebengebiet entsteht.

Bahuguna plant nach eigenen Angaben keinen Hungerstreik vor einem deutschen Ministerium. Doch der Kampf des Gandhianers wird jetzt zur Probe für die im April von der Regierung beschlossene Reform der Hermesbürgschaften, nach der solche Dämme eigentlich nicht mehr gefördert werden sollten.

SVEN HANSEN