Wackelige Anklage gegen Deutsche in Göteborg

Beim EU-Gipfel sollen unter anderem fünf Demonstranten aus Berlin und Brandenburg Steine geworfen haben. Augenzeugen bestreiten das

GÖTEBORG taz ■ In der kommenden Woche beginnt in Schweden das rechtliche Nachspiel der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und DemonstrantInnen während des EU-Gipfels in Göteborg Mitte Juni. Das erste Verfahren soll am Dienstag gegen einen „20-jährigen männlichen Deutschen mit Wohnsitz in Berlin“, so Oberstaatsanwalt Mats Sällström, eröffnet werden. Ende der Woche soll dann gegen sieben Dänen und sechs weitere Deutsche Anklage erhoben werden.

Der schwerwiegendste Vorwurf in allen diesen Verfahren soll auf „gewaltsamen Aufruhr“ lauten. Ein Paragraf, mit dem Schwedens Justiz sich in den letzten Jahren kaum befasste, so dass eine Prognose über die Höhe möglicher Strafen schwer zu machen ist. Auf dem Papier sind Haftstrafen von bis zu zehn Jahren vorgesehen.

Bei den Krawallen während des EU-Gipfels waren mehr als 70 Personen, darunter 20 Polizisten, zum Teil schwer verletzt worden. Den Inhaftierten wird vorgeworfen, Polizeibeamte mit Molotowcocktails und Pflastersteinen beworfen zu haben.

Gegenüber der taz beschrieben Augenzeugen allerdings die Situation, die zur Festnahme von fünf Berliner und Brandenburger Demonstranten führte, ganz anders: Die fünf seien vor Beginn der Demonstration festgenommen worden, nachdem sie beobachtet hatten, wie schwedische Polizisten einen schwedischen Mann brutal zusammenschlugen, und das Vorgehen der Beamten fotografierten. Kurze Zeit später sei die Gruppe von mehreren Polizeiautos verfolgt worden. Dabei seien die Langsamsten verhaftet und bei ihrer Festnahme misshandelt worden.

Besorgt äußerte sich Rechtsanwalt Volker Ratzmann, Vorsitzender der Berliner Stafverteidigervereinigung, zur Situation der Inhaftierten. Ratzmann kritisierte, dass er als Verteidiger eines 20-Jährigen aus Königs Wusterhausen bislang von den schwedischen Justizbehörden keine Besuchsgenehmigung erhalten hat. Die seit 14 Tagen anhaltende Isolation der inhaftierten Berliner und Brandenburger von allen Kontakten zu Eltern, Freunden und deutschen Anwälten erinnere ihn an „das Vorgehen der deutschen Sicherheitsbehörden in den 70er-Jahren“, sagte Ratzmann.

Auch Eltern der Betroffenen erhoben gegenüber der taz schwere Vorwürfe gegen die schwedischen Behörden. Diese suchten „nach Sündenböcken“ für die Krawalle, um ihr eigenes Versagen zu entschuldigen.

Einige deutsche Medien und Politiker wie Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) üben sich derweil in Vorverurteilungen der Inhaftierten. Anfang der Woche präsentierte der Spiegel Informationen aus längst eingestellten Ermittlungsverfahren. Einem 24-Jährigen Berliner unterstellte der Spiegel, als 19-Jähriger eine „teils militante Gruppierung“ angeführt zu haben. Die Märkische Allgemeine folgte mit angeblichen Beweisen für die Gefährlichkeit der Inhaftierten. Sie gipfelten darin, dass einer von ihnen „der Königs Wusterhauser Antifaschistischen Aktion zumindest nahe stehen solle, die sich von gewalttätigen Protestaktionen nicht eindeutig distanziere“.

Hintergrund: Rechtsextremisten aus der Region hatten nach einem angeblich von der Antifa verübten Brandanschlag auf das Fahrzeug eines Rechtsextremisten Racheaktionen geplant. Von Anfang an kursierten allerdings hartnäckig Gerüchte, dass die Rechten den Brandanschlag auf das Fahrzeug ihres Kameraden selbst inszeniert hätten, um sich eine Legitimation für ihre Gewalttaten zu verschaffen.

In Berlin ruft das „Solidaritätskomitee für die Gefangenen in Göteborg“ zu einer Demonstration am Sonntag um 14 Uhr am Nollendorfplatz auf. REINHARD WOLFF / HEIKE KLEFFNER