Radio sehenswert gemacht

■ Während die Daily Soap des Jungen Theaters gewaltig in die Hose ging, bestach Radio Bremen Zwei mit dem historischen Charme der Improvisation

„Wir warnen Sie, die heutige Folge ist nicht jugendfrei“, kündigt Cowgirl Tila Wlatczik an. Die Sonne scheint, lachende Kindergesichter auf den Holzbänken im Scooter. Es ist halb sieben und alle wollen die Daily Soap des Jungen Theaters sehen. Was darin bisher geschah: Oma kommt nach 12 Jahren aus den USA zu ihrer Familie nach Bremen zurück. Ihr Sohn, der Familienvater, ist aber mittlerweile gestorben und die Familie hat den Finanzbeamten Grütze als Ersatzvater eingesetzt. Die Rückkehr der Oma wird gefeiert...

Die Breminale-BesucherInnen sind gespannt. Der Himmel ist so blau wie später Ersatzvater Grütze auf der Bühne. Anja Wedig spielt die Mutter. Sie macht nicht viel, steht jaulend in der Ecke neben dem Party-Geschehen. Als die Oma kreischt „Ich will ficken“ lichten sich die Reihen im Publikum. Anja Wedig verfällt in ihre angestammte Rolle, die der hysterischen Durchgeknallten. Keiner versteht ein Wort, Wedig kreischt zu laut. Aber das ist nicht schlimm, denn die Konversation auf der Bühne kann auch nichts mehr retten. Als Grütze sich dann mit Sohn Paul vergnügt und auch noch mit Oma knutscht, vertreibt das den nächsten Zuschauerschwung. Das ist das Schöne an der Breminale: Es gilt nirgends, ein horrendes Eintrittsgeld abzusitzen. Nach knutschenden Omas mit Turbo-Busen kann man sich getrost mit verhaltenem Applaus abwenden und auf den Weg zur Weltbühne machen.

Geboten wird Hörspiel als Ohren- und Augenschmaus. Dort ist das Publikum in einer anderen Zeit, weit entfernt von Daily Soap, in den den Anfängen der Hörspielgeschichte. Gespielt wird „Hotel Imperial“, das allererste Hörspiel in der Geschichte Radio Bremens, aus dem Jahr 1946. Es war die Zeit, als Wilhelm Kaisen Bürgermeister von Bremen war. Als die Menschen im Winter um acht Uhr zu Bett gingen, weil sie kein Geld zum Heizen hatten. Als der spätere Hörspiel-Autor Hans-Günther Oesterreich bei der amerikanischen Besatzungsmacht die Gründung eines Radio-Senders beantragte. „Hier ist Radio Bremen“ waren die ersten Worte, die am 23. Dezember 1945 durch den Äther rauschten. Und nur ein paar Wochen später, im Januar 1946, suchte der autogrammjägergeplagte Kammersänger Andersen im Hotel Imperial seine Ruhe, fand sie nicht und machte sich einfach aus dem Staub. Das Zimmermädchen entdeckt die scheinbaren Spuren eines Verbrechens in seinem Hotelzimmer – „Iiieeek, Blut!“ - und der Skandal ist perfekt. Etwa Mord? Schon beginnen die Ermittlungen der Polizei, die dem Geschehen aber leider viel zu schnell zum Ende verhelfen. Eine ungeheure schauspielerische Leistung auf der Weltbühne. Hille Darjes wechselt leichtstimmlich zwischen exaltierter Radiosprecherin, verzagter Nachbarin und kreischigem Zimmermädchen.

Untermalt mit lebender Geräuschkulisse: Ihren Kollegen, die mal als knarzende Tür, dann wieder als flügelschlagende Möwe, bewappnet mit flappenden Fahrradschläuchen, in Aktion treten und übergangslos in ihre nächste Rolle gleiten. „Es gibt da so eine Anekdote: Angeblich hat Hans-Günther Oesterreich noch an den letzten Seiten des Manuskripts geschrieben, als die Schauspieler schon bei der Aufnahme waren“, erzählt Radio Bremen-Mitarbeiterin Katrin Krämer. Seit dieser Uraufführung wurde das Hörspiel zur regelmäßigen Sendung im Programm. Woche für Woche, freitags um acht Uhr. Daran hat sich nicht viel geändert, außer, dass die Hörspiele bei Radio Bremen Zwei jetzt freitags um elf Uhr gesendet werden.

In der Hörspiel-Frühzeit probten Schauspieler des Bremer Künstlertheaters nachts ihre Rollen, um nebenbei ihren Verdienst aufzubessern, so Krämer. Die Regieassistenten plätscherten mit der Hand im Wasser, ahmten mit kleinen Mehlsäcken Schritte im Schnee nach oder imitierten, wie am Freitag abend auf der Weltbühne, knarzende Türangeln. Das muss heute keiner mehr, die Geräusche kommen meistens ganz unspektakulär vom Band.

Die Pointe am Ende von „Hotel Imperial“ – der geflüchtete Kammersänger wird aufgegriffen und soll sogleich dem Polizisten ein Autogramm geben – ist nicht besonders spektakulär, eher liebenswert achlicht wie der unschuldige Heinz-Erhardt-Humor der Nachkriegszeit. Die Schauspieler aber haben bewiesen, dass sie es können, Hörspiele machen ohne Ton aus der Konserve. spo