Roter Stein und blaue Eimer

Am Wochenende wurde der zweiter Kunstsommer auf Helgoland eröffnet – die gleichnamige Band aus Hamburg war dabei  ■ Von Alexander Diehl

„Der Zugang zu einer Insel ist erschwert und manchmal sogar unmöglich – mit der Kunst ist es ja so ähnlich“, erklärt BJ Antony die Idee eines „Kunstsommers“ auf der Hochseeinsel Helgoland. Die bundesweite Gruppe Paradox zeichnet für das Event „Kunst ist eine Insel“ verantwortlich, und als ihr „Häuptling“, wie er schmunzelt, ist er wesentlicher Motor für das Zustandekommen des Kunstfestivals auf dem „Roten Stein in der Nordsee“ (Feersnakker – Das Monatsblatt für Helgoland).

Wie erstmals 1998 soll das Ausflugs-Eiland zwei Monate lang zu einer großen, lebendigen Galerie werden: An 20 Orten in Unter-, Mittel- und Oberland, in Lokalen, dem Helgoländer Rathaus, Ladengeschäften und im Freien, werden Bilder, Plastiken und Installationen platziert. Dazu gibt es ein Programm mit Konzerten, Lesungen und Performances, und in Workshops können Einheimische und BesucherInnen Aquarellmalerei oder das Zauberhandwerk erlernen. Sogar von den derzeitigen Feierlichkeiten zum 175. Jubiläum des Seebades Helgoland zeigt sich der Kunstsommer beeinflusst: Manfred Schaller und Claude Stockinger werden in der kommenden Woche aus historischen Helgoländer Fundstücken ihre „Inselskulptur Baureihe 175“ zum Jubiläum erstellen.

„Mir ist klar, dass ich es hier nicht mit absolutem Kunstpublikum zu tun habe“, sagt Charlotte Forster, deren Rauminstallation in einem leeren Laden zu sehen ist: Sandkasten-Plastikeimerchen und -schäufelchen in den Farben Rot, Weiß und Blau ergeben auf dem Boden eine britische Fahne; gefüllt sind sie mit Helgoländer Sand. „Das Thema“, so Forster, „sitzt hier einfach tiefer als auf dem Festland“: Die Zerstörung der strategisch wichtigen Insel – einer einstigen britischen Kronkolonie – war erklärtes Ziel der britischen (Nach-) Kriegspolitik. Forster kombiniert ihren Union Jack mit einer Dauerprojektion der Bilder einer bildschön-zerstörerisch sich brechenden Welle und einer durch Bomben zerstörten Landschaft. Dass die Insel nicht zuletzt auch der Ort war, an dem das „Lied der Deutschen“ geschrieben wurde, bindet Forster in Form von heute als Kinderlieder durchgehenden Texten Hofmann von Fallerslebens ein. Kinder von der Insel wiederum werden Ende August die Installation auseinander nehmen.

Antony schwärmt von der Hilfsbereitschaft und dem Interesse seitens HelgoländerInnen und Gemeinde; Forster findet es wichtig, sich „auf die Gegebenheiten einzulassen“: Anstatt alles Benötigte vom Festland kommen zu lassen, verwendete sie, was auf der Insel verfügbar war. Gab es etwa zu viele weiße Eimerchen und zu wenig blaue, wurden sie entweder vor Ort umlackiert – oder auf Spielplätzen gegen die benötigten eingetauscht.

Vor der offiziellen Eröffnung kam es noch zu einem Hauch von Skandal: Zwei Stunden vor dem kleinen Festakt sah sich Bürgermeister Frank Botter, auch Schirmherr des Kunstsommers, veranlasst, im Rathaus aufgehängte Bilder entfernen zu lassen. Grund war ein später ausgeräumtes Missverständnis, bei dem man sich kurz in die Fantasien Dietrich Schwanitz' versetzt fühlen konnte: Die Frauenbeauftragte der Gemeinde hatte an den Bildern Marina Barons Anstoß genommen; dass eben diese Bilder im Zuge der Aufarbeitung von Traumata, die mit sexueller Gewalt zusammenhingen, Traumata entstanden, war ihr zunächst nicht bekannt.

Von vornherein gewusst zu haben, worauf er sich einließ, dürfte der Pastor der evangelischen Kirchengemeinde St. Nicolai, in deren Gemeindesaal sich am Samstagabend das Konzert der Hamburger Band Helgoland zutrug, nachdem sie nachmittags bereits kurz in der so genannten Musikmuschel an der Landungsbrücke vor regenfest tapferem, zuweilen recht verdattertem Publikum gespielt hatte. Helgolands Affinität für die gleichnamige Insel liegt auf der Hand. Auf ihrer Website werden kitschige Inseldevotionalien zu Bandmerchandising umgewidmet, und wiederholt wurde in der Vergangenheit gefragt, was man denn miteinander zu tun habe. Erst jetzt kam es zum nahe liegenden Konzert vor Ort. Pastor Wellman jedenfalls scheint sich mit der Band beschäftigt zu haben: Die Konzertankündigung im Feersnacker zitiert nicht nur einen kenntnisreichen Artikel aus der taz hamburg, sondern zeugt auch von Kenntnis des musikalischen Geschehens der zunehmend kontrollierteren Ex-Krachmacher: „Vielleicht ist es gut, dass das Oberland leer ist, wenn sie zu hören sind ... vielleicht tut ihre Musik ja doch noch weh.“ Die Busladung Mitgereister und HelgoländerInnen, die dabei war, ging unbeschadet heim.

„Kunst ist eine Insel“ läuft noch bis zum 26. August. Termine und Informationen unter www.kunstfestival-helgoland.de; Reisemöglichkeiten unter www.helgoland.de; Näheres zur Band Helgoland sowie – demnächst – Bilder von den Inselkonzerten unter www.helgolandmusic.de oder www.stora.de