DIE PDS ENTSCHULDIGT SICH NICHT: TAKTISCH ERFREULICH FÜR DIE SPD
: Experiment für die Urne

Nun ist es offiziell: Der Vorstand der PDS verzichtet auf eine Entschuldigung zum Mauerbau im Jahr 1961. Die Empörung unter den Maueropfern, ihren Angehörigen und allen, die durch die Abriegelung der DDR zu Leid und Schaden kamen, ist entsprechend groß. Die Erklärung der PDS-Führung, sie werde stattdessen Verantwortung für den Mauerbau übernehmen und dies gehe über eine Entschuldigung noch hinaus, ist gewunden. Der Erklärung ist vor allem der Wille abzulesen, das der Partei von überall her abverlangte Schlüsselwort zu vermeiden.

Dazu hat die PDS allen Grund. Denn endlich kann sie ihr mittelfristig größtes Problem angehen: alsbald in Berlin und vielleicht auch im Bund Realpolitik mit der SPD betreiben zu müssen, ohne dabei der Sozialdemokratisierung zu erliegen. Da taugt kaum etwas besser als ein Reizthema, über das sich die halbe Republik aufregt – und das die PDS nichts kostet, wirtschaftlich nicht und moralisch auch nicht.

Denn wer die Entschuldigung zum Mauerbau fordert, wählt die PDS ohnehin nicht. Wer die PDS wählt oder sie zu wählen bereit ist, wird auch die Verweigerung sympathisch finden. Wegen einer solchen Frage lässt sich die PDS nicht mehr aus dem etablierten politischen Spektrum verstoßen, im Gegenteil: Jetzt ist sie erst wieder interessant. Und die Bundes-SPD ist in einer besonders vorteilhaften Lage: Sie kann in aller Ruhe analysieren, wie sich die PDS mit ihrem Spitzenkandidaten Gregor Gysi im Berliner Landtagswahlkampf und bei der Stimmabgabe schlagen wird – schließlich liegt der Wahltermin nur sechs Wochen nach dem 13. August, dem Schlüsseldatum zur Teilung der Stadt.

Dabei können sich die Sozialdemokraten der Schützenhilfe von rechts sicher sein: Ausgerechnet die Berliner CDU wird die PDS und den Mauerbau unentwegt thematisieren, weil sie – zu Unrecht – davon ausgeht, dass der SPD die Angriffe auf ihren Koalitionspartner schaden werden. Wenn aber die PDS deswegen in Berlin verliert, soll es der SPD recht sein.

Dass die PDS aus der Mauerdiskussion gestärkt hervorgeht, wird niemand ernsthaft vermuten. Aufwühlende Bekenntnisse zu den Verbrechen, die die SED bis 1989 zu verantworten hat, wird zwar die Opfer, die Mitglieder und die Historiker interessieren – die Wähler jedoch nicht. Denn es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Streit um den Mauerbau selbst und dem Streit um die Entschuldigung dafür. Nur das Letztere taugt für den Wahlkampf. Und das bekommt die PDS jetzt hin.

DIETMAR BARTZ