Eine pragmatische Idealistin

Mit ihrer Mitarbeit in der Zuwanderungskommission hat sich Rita Süssmuth in der Union nicht nur Freunde gemacht

Hätte Rita Süssmuth machtpolitisch gedacht, dann hätte sie das Angebot des Kanzlers ablehnen müssen. Aber die CDU-Politikerin ließ sich auch von schrillen Tönen aus den eigenen Reihen nicht irritieren und übernahm den Vorsitz der Zuwanderungskommission.

Dabei sind Süssmuth machtpolitische Überlegungen keineswegs fremd. Hätte sie verzichtet, so begründete sie 1998 ihre Kandidatur für den Vizeparteivorsitz, wäre das „einer Ohnmachtserklärung der Frauen-Union“ gleichgekommen. Allein – das Abstimmungsergebnis war vor allem eine Niederlage für Süssmuth selbst. Nicht einmal die Hälfte der Delegierten stimmte für die damalige Vorsitzende der Frauen-Union. Süssmuth verzichtete darauf, stattdessen für den Vorstand zu kandidieren.

Ihre politischen Ziele hat sie deshalb nicht aufgegeben. 1985 machte sie Helmut Kohl zur ersten Frauenministerin. Ein Amt, das sie auszufüllen verstand. So verlängerte sie den Erziehungsurlaub. Sie trat für eine liberale Drogenpolitik ein und kämpfte gegen die Diskriminierung Aidskranker. Im Streit um Paragraf 218 suchte sie nach Kompromissen, und sie forderte die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe.

Aus Umfragen ging Süssmuth stets als eine der beliebtesten Politikerinnen der Kohl-Ära hervor. Doch in der CDU machte sie sich nicht nur Freunde.

Man habe ihr vorgehalten, so Süssmuth, sich zu sehr bei den Randgruppen aufzuhalten. Ausgrenzungen seien jedoch nicht mit dem Anspruch, „mitten im Leben“ zu stehen, zu vereinen. Ein Seitenhieb auf die CDU.

Deren Begriff „Leitkultur“ sei eine einseitige, missverständliche Botschaft an die Bevölkerung, warnte sie denn auch. Die Art, wie das Thema Einwanderung diskutiert werde, ermuntere rechte Gewalttäter.

Dabei scheut Süssmuth keineswegs harte politische Auseinandersetzungen. Gegen ein Wahlkampfthema Zuwanderung „habe ich nichts“. Doch die Diskussion dürfe nicht auf dem Rücken der Ausländer ausgetragen werden. Nicht zuletzt deshalb übernahm sie wohl auch den Vorsitz der Zuwanderungskommission – obwohl die Union eine Mitarbeit abgelehnt hatte.

„Zu welchen Ämtern sich Frau Süssmuth missbrauchen lässt, muss sie letzten Endes selbst wissen“, ätzte CSU-Generalsekretär Thomas Goppel. Sie habe „die Falle, die von der Bundesregierung aufgestellt worden ist, nicht erkannt“, sagte der parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Hans-Peter Repnik.

Vielleicht war bei Süssmuths Zusage auch eine gewisse Genugtuung im Spiel. Nach dem Bremer Parteitag 1989, bei dem sie gemeinsam mit Heiner Geißler und Kurt Biedenkopf den CDU-Chef zu stürzen versuchte, war es einsam um sie geworden. Als Süssmuth 1996 wegen Flügen mit der Flugbereitschaft der Bundeswehr ins Zwielicht geriet, witterte die Opposition denn auch prompt eine Intrige von Süssmuths eigenen Parteifreunden. Noch im vergangenen Herbst warf sie Altkanzler Kohl vor, seit dem Parteitag 1989 Reformwillige in der CDU ausgegrenzt zu haben.

Doch Süssmuth ist zäh. „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“, hat sie ihre politischen Erinnerungen überschrieben. Eine pragmatische Idealistin. Ihr Vater, erzählte sie einmal, habe sie „immer geschubst und ermutigt, mich nicht mit wenig zufrieden zu geben“. NICOLE MASCHLER