Einwanderer dringend erwünscht

Die Kommission schlägt vor, in einer Testphase rund 50.000 Menschen pro Jahr aufzunehmen, davon 20.000 Höchstqualifizierte unbefristet

aus Berlin SEVERIN WEILAND

Otto Schily spart an diesem Tag nicht mit großen Worten. Von „historischem Rang“ sei, was die Einwanderungskommission unter der Vorsitzenden Rita Süssmuth vorgelegt habe. Ja, die CDU-Politikerin hat sich nach den Worten des sozialdemokratischen Bundesinnenministers „mit dieser großartigen Leistung um unser Vaterland verdient gemacht“. Nun gehe es darum, dass „die Arbeit nicht im Archiv verschwindet“.

Die Aussichten, dass von dem 323 Seiten starken Bericht, der Frucht von neun Monaten Arbeit der 21-köpfigen Kommission, am Ende wenigstens Teile realisiert werden, sind so schlecht nicht. Hofft zumindest Süssmuth, hofft ihr Stellvertreter in der Kommission, Hans-Jochen Vogel, hofft auch der Innenminister. Es gebe, sagt Schily, „keine unüberwindbaren Hindernisse mehr – es sei denn, man hat Angst vor der Courage“.

Wer gemeint ist, weiß jeder im Saal der Bundespressekonferenz, hat sich doch Angela Merkel, die CDU-Vorsitzende, am Mittwoch mit einem Interview zu Wort gemeldet. Ein „großes Konfliktfeld“ mit Rot-Grün gebe es in der Frage abgelehnter Asylbewerber, bei der Ausländerkriminalität. Doch wer genau Merkels Sätze liest, erkennt auch die Zwischentöne. Denn zugleich fordert sie Schily auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, über den im Parlament geredet werden kann.

Das Bundesinnenministerium sieht sich für diesen Fall gut vorbereitet. Die Arbeit an einem Gesetzestext ist weit gediehen. Ende dieses Monats soll es einen Referentenentwurf geben, der dann mit den anderen betroffenen Bundesministerien, den Ländern und Kommunen abgestimmt wird. Im Herbst könne ein Kabinettsentwurf vorliegen, so Schily. Er wünsche sich ein „atmendes System“, in dem regionale Begebenheiten und zeitliche Fristen angemessen berücksichtigt würden, sagt Schily.

Was aus den Größenordnungen der Zuwanderung im Süssmuth-Bericht bleiben wird, ist in Konturen abzulesen. Schily selbst wiederholte gestern, dass er kein „Freund von Quoten“ sei. Auch das SPD-Zuwanderungspapier, das am Freitag in der Fraktion verabschiedet wird, trifft keine Aussagen über Zahlen. Dort wird, wie übrigens auch beim CDU-Papier, Zuwanderungsbedarf nur für Höchstqualifizierte festgestellt. Und führende CDU-Politiker wie Peter Müller, der die Kommission seiner Partei leitete, sprach gestern vom Süssmuth-Bericht als einem „Zuwanderungserweiterungskonzept“. Möglich also, dass am Ende noch nicht einmal die bescheidenen Zahlen der Süssmuth-Kommission erreicht werden: Diese schlägt in einer Testphase die Aufnahme von ca. 50.000 Menschen pro Jahr vor: 20.000 Höchstqualifizierte samt Familien unbefristet, weitere 20.000 mit einem 5-Jahres-Aufenthaltstitel (die sich allerdings um ein Dauerbleiberecht bewerben können) und 10.000 Auszubildende.

Süssmuth selbst versuchte gestern den Spagat: Dass das inländische Beschäftigungspotenzial ausgeschöpft werden müsse, sei die „durchgängige Aussage“ des Berichts. Aber bei „allen Qualifizierungsanstrengungen brauchen wir Zuwanderung“, zurzeit in kleinerer Zahl, in Zukunft in größerer.

Der Bericht selbst liefert eindrucksvolle Zahlen: Von jetzt 82 Millionen wird die Bevölkerung bis zum Jahr 2050 ohne Zuwanderung auf 60 Millionen sinken. Angesichts dieses Datenwerks geraten andere Felder, wie Integrationsmaßnahmen und Sprachangebote, im Bericht fast zu Nebensächlichkeiten. An einem Punkt allerdings könnten die künftigen Gespräche der Parteien Sprengkraft entwickeln: bei der von den Grünen gewünschten Besserstellung der Opfer nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung (siehe Interview). Die Kommission selbst hatte zwar deren Schutzwürdigkeit grundsätzlich anerkannt, konnte sich aber zu keinem Votum durchringen, etwa für Verbesserungen im Ausländergesetz.

Damit spiegelte sie die Lage wider, in der sich Rot-Grün an diesem Punkt befindet. Schily meinte gestern zwar, das Problem bei nichtstaatlicher Verfolgung könne „man lösen“ – zugleich erinnerte er aber daran, dass für die Verabschiedung eines Einwanderungsgesetzes eine doppelte Mehrheit notwendig sei: im Bundestag und im Bundesrat.