Die Grenzen der Konvention niemals gesprengt

Die Aufgabe, Kanzlergattin zu sein, verrät auch etwas über den jeweiligen Zeitgeist: Hannelore Kohl stand für eine völlig andere Rolle als Rut Brandt oder Loki Schmidt

BERLIN taz ■ Als selbstbewusst und souverän, als starke Persönlichkeit wird Hannelore Kohl von Leuten geschildert, die ihr persönlich begegnet sind. Dem Bild, das die Medien von ihr gezeichnet haben, entspricht diese Charakterisierung nicht: Dort erschien sie als biedere, vielleicht sogar hausbackene Frau, die selbst dann immer einen halben Schritt hinter ihrem Mann zu gehen schien, wenn sie direkt neben ihm lief.

Hat Helmut Kohl das so gewollt? Kam es ihren eigenen Wünschen entgegen? Oder haben gnadenlose Journalisten gerne Hannelore Kohl zur Karikatur herabgewürdigt, um mit ihrer Person den Vorwurf der dumpfen Provinzialität belegen zu können, der gegen den ehemaligen Bundeskanzler vor allem in den ersten Jahren seiner Regierungszeit immer wieder erhoben wurde?

Fest steht: Die Ehefrau des Bundeskanzlers zu sein, ist keine dankbare öffentliche Rolle. Untadeliges Auftreten wird verlangt, Fehler dürfen nicht gemacht werden, Medienpräsenz ist selbstverständlicher Bestandteil des (unbezahlten) Jobs – allzu eigenständige Auftritte aber verzeiht die Öffentlichkeit einer Frau auch nicht, die per definitionem eine Statistenrolle zu spielen hat. In dieser jedoch unersetzlich ist.

Wahrscheinlich verrät das Bild der jeweiligen Kanzlergattin in den Medien weit mehr über den herrschenden Zeitgeist als über die reale Person, die es wiederzugeben vorgibt. Als „Berlins Antwort auf Jackie Kennedy“ ist Rut Brandt einmal bezeichnet worden. Schon als Ehefrau des Regierenden Bürgermeisters und später noch viel mehr als Kanzlergattin brachte die gewandte, weltoffene Frau aus Norwegen ein bisschen Glanz in eine Atmosphäre, die damals von immer mehr Deutschen als muffig und verspießert empfunden wurde.

Hannelore Kohl trat ihr inoffizielles Amt in anderen Zeiten an. Der Part, den sie übernommen hatte, passte seinerzeit Gegnern und Freunden ihres Mannes gleichermaßen gut ins Konzept. Er war angetreten, die geistig-moralische Wende in Deutschland herbeizuführen. Darunter verstand seine Partei auch die Rückbesinnung auf die traditionelle Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter, die ihre vornehmste Aufgabe darin sieht, dem starken Mann den Rücken freizuhalten.

Hannelore Kohl hat diese Aufgabe erfüllt, 16 Jahre lang als loyale Frau des Bundeskanzlers. Öffentlich trat sie mit karitativem Engagement in Erscheinung – und mit den alljährlichen Urlaubsbildern vom Wolfgangsee, auf denen sie und ihr Mann freundlich in die Kameras lächelten, in jeder Saison ein anderes Tier streichelnd.

Wäre dieses Bild der Ehefrau eines Regierungschefs auf dem Höhepunkt der Frauenbewegung in den 70er-Jahren vorstellbar gewesen? Die botanischen Fachkenntnisse von Hannelore – „Loki“ – Schmidt lobten die Medien als Hinweis auf Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Hohe Werte – zu ihrer Zeit. Sogar die Vorzüge getrennter Schlafzimmer durfte Hannelore Schmidt preisen.

Was wäre die Reaktion gewesen, hätte Hannelore Kohl sich in einem Interview ähnlich geäußert? Oder eine eigene politische Meinung zu erkennen gegeben – die sie, allen Bekundungen von Bekannten zufolge, durchaus hatte und die auch keineswegs stets mit der ihres Mannes übereinstimmte? Schwer zu sagen.

Bis zu ihrem Tod hat sie niemals die Grenzen der Konvention berührt, geschweige denn gesprengt. Ob sie es manchmal gerne getan hätte?

BETTINA GAUS