Die Frau im Schatten

Hannelore Kohl, einst eine emanzipierte, freche Person, war durch ihre Rolle als Frau des Kanzlers zunehmend zur Passivität verdammt

von KLAUS DREHER

Hannelore Kohl stand zwar immer in dem großen Schatten, den ihr fülliger Mann warf, aber sie passte auf, dass sie nicht ganz hinter ihm verschwand.

In den Jahren, in denen Helmut Kohl im Amt war – und das war er seit 1962 zunehmend zeitraubend –, übernahm sie die Musteraufgabe aller Frauen prominenter Männer, sie betätigte sich auf sozialem Gebiet. Als Frau des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten übernahm sie die Schirmherrschaft der neurologischen Klinik Vallendar. Später entwickelte sich daraus die Gründung des Kuratoriums ZNS zur Behandlung von Unfallverletzten mit Schäden des Zentralnervensystems.

Freunde, die die Familie Kohl länger kennen, wollen wissen, dass sich das Ehepaar nach vielen Jahren des Auseinanderlebens und der Entfremdung seit 1998 wieder näher gekommen sei. Sie seien aneinander gerückt, nachdem über den Ehemann, der als Bundeskanzler abgewählt wurde, die „Parteispendenaffäre“ hereingebrochen war.

Im Grunde wurde es um Helmut Kohl erst in letzter Zeit richtig einsam. Zu seinem 70. Geburtstag am 3. April 2000 trug er in sein „Tagebuch“ ein, er sei an diesem Tag mit den letzten „treuen Freunden und guten Kameraden“ zu einer kleinen privaten Geburtstagsfeier ins Elsass gefahren, gefolgt von einer Meute von Fernsehleuten. Die letzten vier Getreuen – das waren Hannelore Kohl, der frühere Kanzlerfahrer Eckhard Seeber und die Brüder Erich und Fritz Ramstetter, der eine Pfarrer in Ludwigshafen-Friesenheim, der andere pensionierter Oberstudienrat.

Die neue Nähe des Ehepaars wurde allerdings zunehmend durch eine schwere Augenentzündung von Hannerlore beeinträchtigt. Sie litt unter einer Lichtallergie (lat. Episkleritis), einer Krankheit, die sie sich offenbar durch eine Behandlung mit Penizillin Anfang der 90er-Jahre geholt hatte. Sie zwingt den Befallenen, das Tageslicht zu meiden. Wenn sie ausging, musste sie nachts gehen, war sie tagsüber im Haus, mussten die Rollläden heruntergelassen werden oder sie musste eine Augenbinde tragen. Das war der Grund dafür, dass sie ihren Mann zur Hochzeit ihres zweiten Sohnes Peter in der Türkei nicht begleiten konnte.

Hannelore Kohl litt mehr als andere Frauen ihrer Stellung unter der erzwungenen Einsamkeit. Seit ihr Mann Ministerpräsident in Mainz war, also seit 1970, war ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Während der Zeit des Terrorismus konnte sie – genauso wie der Ehemann und die beiden Söhne – das Haus nicht ohne einen Bewacher verlassen. Das BKA verfügte zudem, dass um das Grundstück in der Marbacher Straße am Stadtrand von Ludwigshafen-Oggersheim eine Mauer gezogen wurde. Günther Jauch, der die Kohls einmal besuchte, wunderte sich, dass es innerhalb des umzäunten Areals weder Leben noch Natur gab. Der Rasen auf Golfformat zurückgeschnitten, die Wand rundherum mit grünen Holzlatten zugenagelt.

Die Kohls kannten sich seit ihrer Jugend. Hannelore kam nach dem Krieg auf der Flucht vor den Russen – sie lebte in Leipzig – mit ihrer Mutter nach Ludwigshafen, sie war ein Flüchtlingskind und evangelisch. Es fiel den streng katholischen Eltern Kohl nicht leicht, sie aufzunehmen. Die beiden jungen Leute lernten sich in der Tanzschule und auf dem Tanzboden der Gaststätte „Zum Weinberg“ kennen und verlobten sich, als sie, drei Jahre jünger als Helmut, fünfzehn Jahre alt war. Danach wechselte sie zur Sprachenschule in Germersheim und Paris, um sich auf den Beruf der Dolmetscherin vorzubereiten, während er in Frankfurt und Heidelberg studierte. Leute, die Hannelore in jener Zeit kannten, fanden sie selbstständig, vorlaut und schlagfertig, ein hübsches, emanzipiertes Mädchen. Gefragt, wann sie den Verlobten heiraten werde, antwortete sie kurz angebunden: „Wenn er mir eine Waschmaschine kaufen kann.“

Nach der Hochzeit 1960 entwickelte sich ihr Leben nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie konnte ihre Sprachkenntnisse allenfalls anwenden, wenn sie mit dem Mann auf Reisen war oder wenn die Kohls Besuch aus dem Ausland bekamen. Mehr noch litt sie unter seiner ständigen Abwesenheit, auch am Wochenende. Im Gespräch mit der Journalistin Liselotte Millauer klagte sie Mitte der 70er-Jahre, jemand wie sie müsse „vor allem warten können“. Da habe sie viel von ihrem Hund gelernt. Oftmals habe sie ihren Kummer „in sein Fell geweint“, manchmal auch ihre „Wut“. Mit der Zeit lernte sie notgedrungen, sich zu arrangieren. War der Ehemann auf Reisen, sah man sie immer seltener an seiner Seite.

Am Donnerstag wurde Hannelore Kohl von Frau Seeber, die bei ihr nach dem Rechten sah, tot in der Wohnung gefunden. Sie hatte sich selbst das Leben genommen. „Auf Grund der Hoffnungslosigkeit ihrer gesundheitlichen Lage entschloss sie sich, freiwillig aus dem Leben zu scheiden“, erklärte das Büro ihres Mannes in Berlin. Diesen Entschluss habe sie ihrem Mann, ihren Söhnen und Freunden in Abschiedsbriefen mitgeteilt.