Das Handy als Teddybär

Mobilfunk, E-Mail, SMS: Die Kommunikation der Jetztzeit ist für Jugendliche maximal 160 Buchstaben lang. Ein Besuch auf dem Pausenhof

von CATHARINA RETZKE

„Mein Verlangen nach dir wird immer schlimmer, doch merke dir: Kein Mann wartet für immer ...“ So unverblümt sich mitzuteilen wie die „Band ohne Namen“ trauen sich die wenigsten Teenager. Aber immerhin eröffnet ihnen die moderne Technik neue Möglichkeiten.

Auf dem Pausenhof eines Regensburger Gymnasiums frage ich Schüler, wie sie miteinander in Kontakt stehen. Die achtzehnjährige Victoria leiert leicht genervt herunter: Handy, E-Mail, SMS. Aus dem Urlaub schreibt man auch mal eine Postkarte. Zu einem richtigen Brief hat sich Victoria schon lange nicht mehr aufgerafft. Das sei „viel zu anstrengend“, weil man ja dafür noch einen Umschlag bräuchte und eine Briefmarke, und dann müsste man „das Teil auch noch in den Briefkasten stecken“. Ihre Freundin Constanze nickt zustimmend, schließlich gehe „eine E-Mail einfach viel schneller“, ein Brief brauche ja „fast eine Woche oder so“.

Die vierzehnjährige Theresa hat dagegen noch eine Brieffreundin, der sie regelmäßig schreibt. Der Grund ist allerdings rein pragmatischer Natur: „Die hat noch keinen Computer.“ Manchmal muss sich Theresa zu einem Brief ganz schön überwinden, weil „da viel mehr drinstehen muss als bei einer E-Mail“ und man auch „so lange auf Antwort wartet“. Einem Jungen hat sie noch nie einen Brief geschrieben. Findet sie einen nett, tastet sie sich langsam vor: Handynummer rausfinden, SMS schicken und schauen, was passiert. Wenn er antwortet, schreibt man halt erst mal ein paar SMS – bis zum ersten Telefongespräch kann schon einige Zeit vergehen. „Die Jungs mögen es nicht so gerne, wenn man gleich anruft“, weiß auch Theresas Freundin Elisabeth. Auch sie hat ein Handy, „wie eigentlich alle“.

Sich im Unterricht auf kleinen Zettelchen Briefe zu schreiben finden beide aber immer noch toll. Weil es dann „nicht so langweilig ist“, und außerdem herrscht im Unterricht Handyverbot.

Die Jungs auf dem Schulhof sind weit weniger auskunftsfreudig als die Mädchen. Martin und Florian, beide siebzehn, benutzen ihre Mobiltelefone hauptsächlich dazu, um sich per SMS zu verabreden. Ihr Klassenkamerad Alexander findet SMS dagegen „total scheiße“. Schließlich habe er „einen Mund zum Reden“. Und Frauen gehe er „lieber gleich frontal an“. Martin widerspricht: Seine Exfreundin und er hätten „krass viele“ SMS ausgetauscht. Einen richtigen Brief habe er ihr aber nie geschrieben. Die Glocke läutet, und die drei sind sichtlich erleichtert, sich weiteren Fragen entziehen zu können.

Zumindest bestätigt mein Besuch auf dem Pausenhof die jüngsten Statistiken. Laut der Studie „JIM 2000“, die das Forschungsinstitut Enigma durchgeführt hat, besitzen 49 Prozent der zwölf- bis neunzehnjährigen Jugendlichen ein eigenes Handy. Bei den Achtzehn- bis Neunzehnjährigen sind es sogar 65 Prozent. Das Internet nutzen 57 Prozent aller Jugendlichen zumindest ab und zu. Dabei klicken sie vor allem auf Seiten, die ihnen Kommunikationsmöglichkeiten eröffnen. Kostenlose SMS- und E-Mail-Services, Chatrooms und so genannte Messenger stehen in der Gunst ganz oben.

Seinen Freund oder seine Freundin über das Internet kennen zu lernen ist auch nichts Außergewöhnliches mehr. „Es finden sich im Chat immer wieder mal Pärchen“, sagt Christian Spletter, der seit etwa vier Jahren die Internetseite www.cyberflirten.de betreut. Zu Anfang seien virtuelle Gesprächskreise eher so eine Art „Tummelplatz sozialer Schattengestalten“ gewesen. „Zwei Drittel der User waren Männer, aber in den letzten zwei Jahren hat sich das Verhältnis fast ausgeglichen.“ Das liege wahrscheinlich auch daran, dass sich immer mehr Frauen ins Internet trauten.

Die Themen, über die bei „cyberflirten“ gechattet werde, seien „nicht so aufregend“. Meistens gehe es um die Schule oder das Studium, auch Klatsch und Tratsch seien sehr beliebt. Wenn man sich ungestört mit einem der Anwesenden unterhalten wolle, könne man mit diesem auch in einen „Query“, einen Einzelraum, gehen, wo man in Ruhe nur zu zweit „sprechen“ könne.

Die Entwicklung hinein in die Mediengesellschaft und zur totalen Kommunikation hat sich rasend schnell vollzogen. Die Zahlen aus der Studie „JIM 2000“ haben sich im Vergleich zum Vorjahr jeweils fast verdoppelt. Jugendliche ohne Handy und Internetzugang bilden immer mehr die Ausnahme. Das ist auch der Eindruck von Pater Alfons Blüml vom Haus der Begegnung in Ensdorf bei Regensburg, wo Orientierungswochen für Schulklassen der Mittel- und Oberstufe stattfinden. „Das Handy ist wie früher der Teddybär, es ist Spielzeug und Identifikationsobjekt zugleich.“ Dass sich die Kommunikation unter den Jugendlichen dadurch verbessert hat, kann Blüml jedoch nicht finden. „Es ist einfach sehr unterschiedlich, wie gut oder schlecht die Verständigung in einer Klasse funktioniert.“ Dabei spielen nicht nur die Kommunikationsmittel eine Rolle, sondern auch die Zusammensetzung der Klasse und wie gut die Zusammenarbeit mit den Lehrern klappt.

Christoph Braun, Schülerreferent vom Bischöflichen Jugendamt in Regensburg, sieht das ähnlich: „Es lässt sich kaum sagen, dass Kommunikation unter Jugendlichen heutzutage so oder so abläuft.“ Vielmehr müsse man die nächsten Jahre abwarten, da die Handywelle ja erst seit etwa einem Jahr so richtig rolle. Aber es verändert sich etwas, das steht für Christoph Braun fest. Ob zum Guten oder Schlechten, da ist er sich noch nicht so sicher. „Alles ist irgendwie schnelllebig, alle Nachrichten sind gerade brandaktuell und auch genauso schnell wieder out.“ Braun findet es schade, dass sich nur noch sehr wenige Jugendliche die Zeit nehmen, einen Brief zu schreiben. Der Horizont sei einfach ein anderer, je nachdem, ob man eine E-Mail oder einen richtigen Brief schreibe. „Der Brief kommt erst zwei Tage später an. Ich muss mir also sehr genau überlegen, was ich zu Papier bringe, denn das muss dann auch noch zu diesem Zeitpunkt Gültigkeit haben.“

Was sich die Jugendlichen am Computer oder Telefon so zu erzählen haben, da hat Christoph Braun „natürlich nicht so den Einblick“. Der fünfzehnjährige Matthias formuliert es folgendermaßen: „Was halt gerade so abgeht, was nervt und so.“ Als seine Freundin letzten Monat mit ihm Schluss gemacht hat, hat sie das aber „Gott sei Dank“ nicht am Telefon getan. „Da hat sie mir eine SMS geschickt und geschrieben, dass wir uns treffen müssen“, sagt er ein bisschen traurig. Diese SMS habe er auch gespeichert, „weil das irgendwie wichtig ist“.

Das alles ist im Grunde nichts Neues. Nur dass früher die Briefe des oder der Angebeteten in einem Schuhkarton aufbewahrt wurden, den man später noch ab und zu hervorkramen konnte. Das dürfte heute schwierig werden, denn irgendwann ist der SMS-Speicher des Handys voll oder es gibt ein neues Gerät zu Weihnachten. Nach einigem Überreden liest mir Victoria doch noch eine SMS von ihrem Freund vor: „Gute Nacht, meine Süße. Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben und ich liebe Dich unendlich. Du bist meine absolute Traumfrau. Schlaf gut, Dein Sven.“ Eigentlich zu schön, um der Vergessenheit anheim zu fallen.

CATHARINA RETZKE, 28, taz-Autorin seit 2000, ist Rechtsreferendarin in Regensburg