Humor und Schrecken

Gastspiel bei den Autorentagen im Thalia: „Das Pulverfass – Der Reigen der Gewalt“ des mazedonischen Autors Dejan Dukovski  ■ Von Annette Stiekele

Feucht ist es, auf der Bühne glitscht und pitscht es im mit Wasser gefüllten Bassin. Ein Mann entleert sich in eine Bierflasche. Ein anderer darf die Suppe anschließend auslöffeln. Es gibt keine Zimperlichkeiten mehr, keine Gnade, keinen Anstand, denn es herrscht Krieg. Das Pulverfass – Der Reigen der Gewalt – Erfolgsstück des jungen mazedonischen Autors Dejan Dukovski von 1994 – erregte Aufsehen zu einer Zeit, als die Tragödie des Balkankriegs theatrale Deutungsversuche nach sich zog. 1994 wurde das Stück in Skopje uraufgeführt. Juror Wolfgang Kralicek hat die Koproduktion des Schauspielhauses Graz und des steirischen Herbstes in der Regie von Dimiter Gottscheff als zweites Gastspiel zu den Autorentheatertagen im Thalia Theater eingeladen.

Am Anfang rollen hunderte von Äpfeln die schräge Bühne hinunter (Bühne: Anri Koulev). Ihnen folgt das Ensemble von neun Schauspielern, die erst einmal zu berstenden Klängen einer Balkanband im Hintergrund ordentlich abrocken. Danach lösen sich immer Einzelne aus dem Ensemble, um die unverbundenen Szenen zu spielen. Es gibt keine eigentlichen Figuren, keine wirklichen Charaktere, nur ein paar Namen versehen mit Merkmalen, die als typisch erachtet werden für „die Balkaner“. Wild sind sie und die Ehre im Leib zählt ihnen mehr als alles andere. Dafür ballen sie die Faust nicht nur in der Hosentasche.

An der Übersetzung haben Dimiter Gottscheff und sein Team noch ein wenig gefeilt, manches klingt jetzt noch derber. Gleich die erste Episode „Alles Gute und Prost!“ endet mit einer knallharten Pointe. Zwei Männer sitzen in einer Bar und unterhalten sich, der eine geht an Krücken. Es stellt sich he-raus, dass er mit einer Brechstange von einem Unbekannten fast zu Tode geprügelt wurde. Der andere nimmt Anteil. Plötzlich fragt er: „Weißt Du, wer dich zusammengeschlagen hat? ... Ich.“ Und in nur wenigen Worten entblößt sich die ganze Ungeheuerlichkeit dieses schrecklichen Krieges.

Wenn eine Episode nicht ganz so zugespitzt und kraftvoll scheint, bleibt immer noch die ansehnliche Spielfreude des Ensembles. Das Pulverfass ist ähnlich aufgebaut wie Schnitzlers Reigen, nur dass hier keine Liebenden von Blüte zu Blüte fliegen, sondern Überlebende eine Runde weiter im Lebenskampf gelangen.

Zwei Freunde gehen in „Das System“ durch dick und dünn. Der Kriegsdienst des einen stellt die Freundschaft auf eine harte Probe, als der Zurückbleibende die Frau des Freundes, die er eigentlich schützen soll, plötzlich begehrt. Die Beichte wird zur Generalabrechnung zweier Männer, die mit verkniffenen Gesichtern alle Lebenslügen ausräumen. Samuel Fintzi in bodenständiger Hemdsärmeligkeit und Magne Hovard Brekke als langhaariger Dandy mit nacktem Oberkörper und Schlips spielen diese Szene fast kabarettistisch. Der Humor scheint überhaupt das einzige Mittel, dem Schrecken in der Darstellung beizukommen und das hat auch Regisseur Gottscheff erkannt. Gleichzeitig verheddert er sich in unzähligen Anspielungen an die Filme Emir Kusturicas und die Musik Goran Bregovics.

In einer Art Nummernrevue werden die verschiedenen Facetten des Lebens mit der alltäglichen Gewalt skizziert. Eine Frau muss sich in einem Zugabteil sexueller Annäherungen erwehren. Ein Mann überfällt den späten Autobus. Ein Paar ringt mit der Eifersucht. Andere Männer hocken verdrossen im Knast und martern sich gegenseitig. Einige von ihnen werden versuchen, den verheißungsvollen Fluchtweg anzutreten, in das gelobte Land, nach Amerika.

Den vielen offenen Fragen dieses schweren Themas setzt Dukovski über weite Strecken die entwaffnende Ironisierung entgegen. Auf der Bühne tobt ein Panoptikum von Verrückten und Hitzköpfen. Kein Wunder also, dass sie anfangen, die Schädel ihrer Nachbarn einzuschlagen. Dukovski liefert keine Antworten und will sie auch nicht liefern. Wir sehen lediglich, dass es da ein Pulverfass gibt mitten in Europa, und womöglich ist es nicht das Einzige.