Schön, wenn’s so einfach wäre

Eine „Weltpolizei“ hat Sibylle Tönnies gefordert, um „Schurkenstaaten“ beizukommen. Das überzeugt nicht – schon weil sich die Länder nicht in Gut und Böse aufteilen lassen

Die Staaten solltenlieber das Statut fürden InternationalenStrafgerichtshofratifizieren

Zu Recht kritisiert Sibylle Tönnies den Bundestag: Man kann nicht die Prinzipien der Vereinten Nationen loben und sie gleichzeitig durch die neue Nato-Strategie aushebeln. Es bleibt unglaubwürdig, eine Stärkung der UNO beim Schutz der Menschenrechte zu fordern, ohne einzugestehen, dass die Nato für effektiver gehalten wird – und den Interessen „unserer Verbündeten, die wir nicht zu kritisieren haben“ (Fischer) besser entspricht.

Tönnies schließt aus dieser unbefriedigenden Situation: Leider können Menschenrechte nicht völkerrechtsgemäß geschützt werden, weil die „Schurkenstaaten“, die Menschenrechte missachten, Staatssouveränität genießen. Deshalb sollte das Völkerrecht nicht gestärkt, sondern geändert werden, indem eine Weltpolizei zur „militärischen Desouveränisierung der Nationen“ beiträgt. Das Prinzip Polizei, so Tönnies, sei dem Prinzip Militär überlegen, denn es steht für Sicherheit und Ordnung und nicht für Opfern und Siegen.

Schön, wenn’s so einfach wäre, denkt man unwillkürlich, oder auch: Warum ist nicht schon früher jemand daraufgekommen? Mir scheint dieser Vorschlag aus zwei Gründen von einem zu simplen Weltbild auszugehen: Zum einen ist es nicht damit getan, Staatssouveränität gegen Menschenrechte auszuspielen, zum anderen ist eine „Weltpolizei“ weder die beste noch eine realistische Weiterentwicklung des Völkerrechts.

Zweifellos erscheint die Forderung verlockend, dass ein „Schurkenstaat“ in seiner Souveränität beschnitten – also sanktioniert – werden soll, wenn er Menschenrechte massiv verletzt. Dahinter steht allerdings die Vorstellung, man könnte die Staatenwelt in gute und böse Staaten unterteilen – jeder Jahresbericht von amnesty international zeigt aber eine andere Realität. Es ist angebrachter, sich die menschenrechtsverletzenden Staaten als Kontinuum vorzustellen, auf dem sich fast alle Länder der Welt wiederfinden.

International gilt inzwischen die Unteilbarkeit der Menschenrechte; politische, soziale, ökonomische und kulturelle Rechte sind als Gesamtset zu schützen. Nun können Staaten auf sehr verschiedene Art Menschenrechte verletzen: Sie können dies etwa durch Folter oder die Todesstrafe sehr direkt und brutal tun. Sie können aber auch durch verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik dazu beitragen, dass breite Bevölkerungsschichten in menschenunwürdige Lebensverhältnisse gezwungen werden – wenn zum Beispiel die öffentliche Gesundheitsversorgung so unzureichend ist, dass Menschen an längst beherrschbaren Krankheiten leiden oder sterben. Dann handeln Staaten nicht als Urheber von Menschenrechtsverletzungen, aber möglicherweise als Mittäter. Auch diese Form von mittelbaren Menschenrechtsverletzungen werden in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen geächtet – so im Sozialpakt (CESCR) und in der Frauenrechtskonvention (CEDAW), die von den meisten UN-Mitgliedstaaten ratifiziert worden sind. Mir scheint, dass Tönnies nicht fordert, dass ein Staat, in dem eine Hungersnot herrscht, mit Souveränitätsentzug zu maßregeln sei – er würde vermutlich nicht in das Bild des „Schurkenstaates“ passen. Darüber hinaus zeigt dieses Beispiel auch, dass es sinnvoll ist, wenn ein Eingriff in staatliche Souveränitätsrechte besonderer Begründung bedarf.

Die Forderung nach einer „Weltpolizei“ lässt zwei Aspekte unberücksichtigt: Erstens entsteht Völkerrecht nicht im luftleeren Raum, sondern ist von internationalen Machtkonstellationen geprägt. Völkerrecht wird von Staaten gemacht – von den gleichen Akteuren also, die sich daran halten sollen. Dies ist der große Unterschied zum nationalstaatlichen Recht. Wenn derzeit kein internationales legitimes Gewaltmonopol besteht, dann weil dies nicht den Interessen der (mächtigsten) Staaten entsprechen würde. Daher ist es vielleicht sogar zu begrüßen, dass keine Weltpolizei existiert – sie würde wahrscheinlich der Nato mehr ähneln als der UNO. Denn die Vereinten Nationen, die an ihren völkerrechtlichen – und das heißt im internationalen Raum: demokratischen – Prinzipien festhalten, handeln sich immer wieder den Vorwurf der Machtlosigkeit ein. Dass dies nicht die Art von Sicherheit und Ordnung ist, die sich die Nato vorstellt, daraus macht sie seit ihrem Strategiewechsel 1999 keinen Hehl mehr.

Zweitens ist es unrichtig, dass die einzige sinnvolle Weiterentwicklung des Völkerrechts darin besteht, Sanktionsmechanismen zu entwickeln. Übertragen auf einen Nationalstaat würde das bedeuten, dass erhöhte Legitimität erreicht wird, indem die Regierung gestärkt wird – und nicht das Parlament oder die Gerichte. Eine solche Entwicklung würde zu Recht als Demokratiedefizit kritisiert – und dafür gibt es auch schon Beispiele, etwa als der Bundestag die neue Nato-Strategie stillschweigend billigte.

Es ist stattdessen auf internationaler Ebene wichtig, immer weiter daran zu arbeiten, dass Staaten ihre bereits bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen ernst nehmen und freiwillig Souveränität abgeben. Indem sie etwa das Statut für einen Internationalen Strafgerichtshof ratifizieren. Bislang haben dies erst 34 Staaten getan (zuletzt die Schweiz im Juni) – nötig sind jedoch 60 Länder, damit eine unabhängige, internationale Instanz entsteht, die Kriegsverbrecher und Verantwortliche für Völkermord und Verbrechen aburteilen kann.

Wenn keine Weltpolizei existiert, dann auch, weil die mächtigsten Staaten kein Interesse daran haben

Darüber hinaus ist wichtig sicherzustellen, dass die Staaten durch internationale Verträge nicht einfach die Rechte ihrer Bürger beschränken. Dies wäre etwa durch das Multilateral Agreement on Investment (MAI) geschehen, das nur durch massive weltweite Proteste verhindert werden konnte. In diesem Abkommen hätten sich die beteiligten Staaten verpflichtet, für multinationale Konzerne politische und soziale Rechte aufzuheben (u. a. das Streikrecht). Auch wenn das MAI gescheitert ist, steht zu befürchten, dass künftig vergleichbare Verträge geschlossen werden – fast alle Staaten des amerikanischen Kontinents haben auf ihrem letzten Gipfeltreffen erste Schritte in diese Richtung unternommen.

Auch wenn die gegenwärtige Situation unbefriedigend sein mag: Der Ruf nach einer Weltpolizei, „die’s schon richtet“, weckt falsche Hoffnungen. Zuvor muss man sich darüber einigen, wer unter welchen Umständen was richten sollte. In diesem Prozess müsste der Sicherheitsrat eine zentrale Rolle spielen: Als „Zwittergremium“ ist er international legitimiert und gleichzeitig handlungsfähig. Die Diskussion, wie Menschenrechtsverletzungen zu verhindern und zu ahnden seien, findet übrigens schon seit Jahrzehnten statt und wurde von der UN-Charta angestoßen. Leider verlaufen diese Debatten nicht geradlinig „proemanzipatorisch“, aber immerhin gibt es sie, wird ständig um Lösungen für komplexe Probleme gerungen. Die Akteure in diesem internationalen Weltordnungsdiskurs gebärden sich beileibe nicht immer als selbstlose Weltretter. Aber es genügt einfach nicht, ein paar „Schurkenstaaten“ unter polizeiliche Kontrolle zu bringen. SUSANNE ZWINGEL