Neuer Markt am Boden

Der Nemax 50 sackte gestern auf seinen historischen Tiefststand von 1.210 Punkten. Aktien werden derzeit nur noch verkauft

von MARIUS ZIPPE

Vor eineinhalb Jahren hätten sich die Aktien der Biotechfirma co.don noch rasend schnell verkauft. Die ZDF-Tagesthemen hatten Donnerstagabend berichtet, das am Neuen Markt gelistete Unternehmen könnte mit gezüchteten Zellen die massenhaften Bandscheibenerkrankungen der Deutschen fast schmerzfrei heilen. Millionen Menschen, darunter bestimmt nicht wenige Depotbesitzer, schauten zu. Doch der Kurs der Firma bewegte sich am nächsten Vormittag kaum. „In anderen Zeiten wären die Leute da draufgesprungen“, sagt Karl Wilhelm Homburg, Analyst bei der Berliner Bank.

Inzwischen zahlt sich der Handel mit Aktien am Neuen Markt aber kaum noch aus. Der ehemalige Wachstumsmarkt hat sich in eine Kapitalvernichtungsmaschine verwandelt, die ihresgleichen sucht. Misswirtschaft, Insolvenzen und Betrügereien haben der Branche zu einem schlechten Image verholfen und das Vertrauen potenzieller Aktienkäufer zerstört. Von knapp zwanzig Unternehmen, die seit Januar den Sprung an die Börse wagten, notierten zur Jahresmitte nur fünf Aktien oberhalb ihres Ausgabepreises.

Andere haben vom Neuen Markt gleich ganz die Finger gelassen. Unternehmen wie die Fischrestaurantkette Nordsee und die Degussa-Tochter Asta-Medica brachen ihre Börsengänge im letzten Augenblick ab. Sie taten gut daran. Nach den schlechten Nachrichen des des Chipherstellers AMD stürzte der Branchenindex Nemax 50, der im Mai 2000 noch bei 9.631 Punkten lag, gestern auf weniger als 1.210 Punkte. Das war der tiefste Stand, seitdem der Handel am Neuen Markt vor mehr als vier Jahren begann.

Dass sich am Neuen Markt Kopflosigkeit ausbreitet, bestätigte gestern ein Händler an der Frankfurter Börse. Zurzeit gebe es nur noch Aktienverkäufer, und die „gehen zunehmend undifferenziert vor“. Damit wächst die Unsicherheit weiter. Am Neuen Markt, so scheint es, gilt nicht mehr das Börsenprinzip Hoffnung, sondern es wird nur noch auf die trübe Gegenwart reagiert. Was wahrgenommen wird, sind die schlechten Nachrichten, die den ganzen Markt in die Tiefe reißen, sagt Ralph Bressler vom Bankhaus Lampe.

Dass dem einst aufgeblasenen Hoffnungsmarkt jetzt mit einem stetigen Zischen die Luft ausgeht, hat auch mit Ursachen zu tun, die wenig mit dem Neuen Markt zusammenhängen. Karl-Wilhelm Homburg von der Berliner Bank sieht den Neuen Markt an der strengen Politik der Europäischen Zentralbank leiden. Deren einziges Ziel sei es, die Geldmenge zu begrenzen. „Das ist zwar langfristig gut, hemmt aber kurzfristige Investitionen.“ Die Basis für die Wiederbelebung der Branche sieht Homburg aber in einer anziehenden Konjunktur. „Fängt die sich, dann fängt sich auch der Neue Markt.“

Der gegenwärtige Niedergang am Neuen Markt scheint auch gute Seiten zu haben. In der Not könnte sich die Spreu vom Weizen trennen. Im aktuellen Newsletter von Aktienservice.de sieht man die Firmenauslese als eine Voraussetzung, um Anlegervertrauen wiederzugewinnen: „Wir freuen uns über jede Insolvenz eines Wertes am Neuen Markt.“