SPD rückt von Süssmuth ab

Sozialdemokraten gehen auf Distanz zu Süssmuth-Kommission: Einwanderungszahlen von jährlich 50.000 „mit spitzen Fingern anfassen“. Zuwandern sollen nur Höchstqualifizierte

BERLIN taz ■ Die SPD hat sich deutlich von einzelnen Punkten des Süssmuth-Berichtes abgesetzt. Die von der Kommission vorgeschlagene Zahl von zunächst jährlich 50.000 Zuwanderern „fassen auch wir mit spitzen Fingern an“, erklärte gestern der Vizefraktionschef der Bundestagsfraktion, Ludwig Stiegler. Am frühen Morgen hatte die SPD-Fraktion mit nur einer Gegenstimme als letzte der Bundestagsparteien ihren eigenen Zuwanderungsbericht vorgelegt. Stiegler betonte, der SPD-Bericht enthalte „viele Schnittmengen“, die einen Kompromiss über ein Zuwanderungsgesetz mit der Union möglich machten. CDU/CSU hatten am Donnerstag den Süssmuth-Bericht scharf kritisiert und ebenfalls die Zuwanderungszahlen abgelehnt.

Nach Angabe von SPD-Fraktionschef Peter Struck will Rot-Grün frühestens im September nach der Vorlage eines Koalitionsgesetzes mit der Union verhandeln. Zuvor werde Bundesinnenminister Otto Schily auf Länderebene Gespräche führen. Derzeit sehe es allerdings danach aus, als wolle die Union aus taktischen Gründen sich einem Kompromiss verweigern, meinte Struck. Die SPD will möglicherweise im Falle eines Scheiterns im Bundesrat nicht den Vermittlungsausschuss anrufen. „Ich tendiere dazu, nein zu sagen“, so Struck.

In ihrem Papier sieht die SPD bis 2010 lediglich einen Zuwanderungsbedarf bei Höchstqualifizierten. Erst dann würde aus demografischen Gründen stärkere Zuwanderung notwendig. Ein am kanadischen Punktemodell orientiertes Auswahlverfahren nach Alter, Qualifikation und anderen Faktoren solle zunächst „auf kleiner Flamme erprobt werden“, so Stiegler. Es sei vorstellbar, ein solches System für jene 500.000 Ausländer in Deutschland anzubieten, deren Zukunftsperspektive unklar sei – etwa bei anerkannten Flüchtlingen und Personen, die unter Abschiebeschutz stünden.

In dem SPD-Papier wird bis 2010 der Qualifizierung und der Ausschöpfung des hiesigen Arbeitskräftepotenzials der Vorrang eingeräumt. Auch will man bis dahin die Integration neu ankommender und hier lebender Migranten verstärken, unter anderemdurch verbesserte Sprachangebote. Verbessert werden soll der Status von Opfern geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung.

Der stellvertretende migrationspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Edathy, lehnte im taz-Interview die Forderung der Wirtschaft nach mehreren hunderttausend Zuwanderern pro Jahr ab. Dies „wird es mit uns nicht geben“.

SEVERIN WEILAND

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