piwik no script img

Dein Freund, der Baum

Kostprobe 1: Die wahre Geschichte eines Autounfalls – eine prämierte Einsendung

Wenn du im Auto auf einen Baum zurast, ist das Erste, was passiert, lange bevor du den Baum küsst, sehr lange davor ist das Erste, was passiert, dass dir deine innere Uhr einfriert. Ab da läuft alles in Zeitlupe, ein riesiger, fetter Farbfilm, in dem du die Hauptrolle spielst, dein Leben wird im selben Augenblick, in dem du die Kontrolle über dein Auto verlierst, in genau dieser Sekunde wird dein Leben großes, buntes, brodelndes Kino, und für die drei, vier Sekunden Echtzeit bis zum Aufprall braucht deine eingefrorene Uhr Ewigkeiten, genug Zeit für einen Zickzackschleuderkurs zwischen Hoffnung, Schrecken, neuer Hoffnung, das sind ja alles nur Büsche, das frisst dein Kühler schon, dein Kühler frisst sich durch die Büsche, Sträucher, jetzt ein kleines Bäumchen, dein Kühler frisst und frisst, dein Kühler frisst dir den Weg frei, dein Kühler frisst dir eine Landebahn in das Wäldchen – dein cooler Kühler! –, eine richtige Landebahn, darauf landest du sanft wie auf einem roten Flokatiteppich, dein Kühler macht Krach beim Fressen, autsch! Dein Kühler hat gekleckert, dein Kühler hat dir einen abgerissenen Ast in die Windschutzscheibe gespuckt, die Scheibe explodiert. Glas spritzt rum, und jetzt ist die Sicht noch klarer geworden, ohne Scheibe sieht alles noch viel realer aus, Fahrtwind massiert dir dein Gesicht, dein Kühler ist immer noch am Fressen, gleich gehen über den Sitzen die „Fasten seat belt“-Leuchten aus, die Leute werden die Landung beklatschen, dein Kühler ist schon beim Dessert, grünes Brennnesselkompott mit Himbeersträuchern, dein Kühler ist jetzt satt, voll gestopft, dein Kühler kann nichts mehr essen und wird schläfrig, dein Kühler will nur noch einen Grappa und einen Zahnstocher, aber da kommt der Baumstamm.

TILL MÜLLER-KLUG

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen