Der nasse Delfin in der trockenen Steppe

Ein ukrainisches Privat-U-Boot, in liebevoller Heimarbeit zusammengebaut, geht im Donbass-Becken regelmäßig auf Tauchstation

In Filmen und Fantasien über die Steppe taucht früher oder später ein einsamer Reiter auf und bringt sein Pferd auf einem Hügel zum Stehen. Schützend hält er die Hand über die Augen, während er die Weiten erkundet. Sein Blick gleitet über die Wogen bald gräulichen, bald rosenfarbenen Grases, die in ihrer Bewegung so sehr an das Meer erinnern.

Wladimir Andrejewitsch Pilipenko (59) sieht häufig auf dieses Gras – schräg von unten. Wenn nämlich das Periskopende seines U-Boots noch über die Wasseroberfläche des Teichs bei seinem Heimatdorf Jewgenjewka im Donbass-Becken lugt. Insgesamt gibt es in der Ukraine zwei Unterseeboote. Ein staatliches, namens „Saporoschje“, sticht zur Zeit aus technischen Gründen nicht ins Schwarze Meer. Wladimir Pilipenkos ist privat, von ihm selbst erbaut, es heißt „Delfin“ und schwimmt und taucht.

In seiner Jugend arbeitete Wladimir Andrejewitsch als Stahlschweißer in der Hafenstadt Mariupol. Er übte sich im Tauchsport und begeisterte sich für die Unterwasserwelt.

Doch vor 24 Jahren kehrte er nach Jewgenjewka zurück, heiratete, zeugte zwei Töchter, arbeitete als Automechaniker der örtlichen Kolchose und sah im Fernsehen Filme von Jacques Cousteau. Der baute sich ein Spezialunterseeboot und brachte Pilipenko damit auf seine Idee.

In den Achtzigerjahren ging Wladimir Andrejewitsch ans Werk. In jenen Jahren war er einsam wie der Reiter auf dem Hügel. Die Nachbarn spotteten. Dass sich ein U-Boot in eine gefährliche Angelegenheit verwandeln kann, wusste Pilipenko. Deshalb prüfte er gewissenhaft jedes Bauelement auf der Waage des dörflichen Getreidesilos. Seit Jahren bekommen die Einwohner von Jewgenjewka vom Staat kein Geld mehr, sondern werden in Gerste ausbezahlt. Ansonsten nähren sie sich vom Ertrag ihrer Privatgrundstücke. Wladimir Andrejewitsch rechnete aus, wie hoch eine Gerstesäule sein muss, die dem atmosphärischen Druck in 50 Meter Wassertiefe entspricht.

Die Einzelteile selbst entnahm er seiner unmittelbaren Umgebung: das Chassis einem „Wolga“, die Sauerstoffpatronen einem ausrangierten Kühlschrank der örtlichen Molkerei, die Einstiegsluke einem Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg. Der fertige Schwimmkörper ist 3,20 Meter lang und bietet zwei ausgewachsenen Männern für vier Stunden Platz und Sauerstoff.

Außer den U-Boot-üblichen Fortbewegungsmechanismen verfügt das Konstrukt noch über vier wassergefüllte Räder. Auf ihnen schleppte Pilipenko die „Delfin“ mit seinem alten Niva 1999 nach Mariupol zur Erprobung. Dort tauchte sie erfolgreich in 50 Meter Tiefe.

Seither kann sich das U-Boot nur bis zu vier Metern tief versenken, sonst kommt ihm der Grund des Teichs von Jewgenjewka ins Gehege. Und wenn dann ein Auswärtiger besorgt fragt, wie lange es denn ohne Gefahr dort unten bleiben könne, dann antworten die Dörfler gelassen: „So lange der Kapitän es will.“ Pilipenkos Wille ist sein Himmelreich.

Schon plant er einen neuen sphärenförmigen Schwimmkörper, eine Art tauchende Untertasse. Als Gehäuse sollen zwei Deckel von Eisenbahnzisternen dienen. Und dann will er das Ganze gelb anstreichen. Denn erst kürzlich hat ihm jemand eine Kassette mit einem Song gebracht: „We all live in a yellow submarine!“

Wenn aber jemand bezweifelt, dass so ein U-Boot einem bäuerlichen Haushalt nützen könne, zeigt Pilipenko Unverständnis: „Ist das etwa kein Nutzen, wenn sich ein Bauer an der Unterwasserwelt ergötzt?“

BARBARA KERNECK