ASSAD IN DEUTSCHLAND: ZWEI MACHTLOSE PARTEIEN TREFFEN SICH
: Der zweite Stiefel

Wie John Kennedy ist Baschar al-Assad ans Ruder gekommen, weil sein Bruder, der Kronprinz der Familie, gestorben ist. Kennedy hatte ein paar Jahre, um sich vorzubereiten. Baschar kam ziemlich plötzlich an die Macht.

Jetzt ist er umringt von der alten Garde seines Vaters, die die syrische Politik weiterhin leitet. Der einzige selbstständige Beitrag Baschars waren bis jetzt antisemitische Aussprüche – so soll er gegenüber dem Papst geäußert haben, die Juden hätten Jesus verraten und auch den Propheten Mohammed umbringen wollen. Na schön.

Baschars Problem ist, dass er außenpolitisch machtlos ist. Auch seine Gespräche in Berlin können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sein eigentliches Ziel unerreichbar bleibt: die von Israel besetzten Golanhöhen zurückzubekommen. Die Syrer allein können keinen Krieg führen, und Bundesgenossen für einen Waffengang haben sie vorläufig nicht. Seitdem die israelische Armee Südlibanon geräumt hat, können die Syrer auch die Hisbullah kaum noch gegen Israel einsetzen. Im Gegenteil, Syrien sah sich gezwungen, einen Teil seiner Truppen aus dem Libanon zurückzuziehen.

Ariel Scharon denkt natürlich gar nicht daran, die Golanhöhen zu räumen. Die Siedler dort sind politisch viel zu mächtig, und Scharon gefällt der Status quo. Gespräche mit Schröder und Fischer werden das nicht ändern.

Auch die nahe liegende Idee, dass Palästinenser und Syrer gemeinsam gegen Israel kämpfen, hat keine Aussicht auf Erfolg. Außer einem kurzen Besuch, als Hafis al-Assad beerdigt wurde, war Arafat seit 30 Jahren nicht in Syrien. Damals wurden er und seine Kollegen vom alten Assad beinahe hingerichtet. Dabei hatte es auch einmal andere Zeiten gegeben: „Baschar hat auf meinen Knien gesessen“, erzählte mir Arafat vor ein paar Tagen.

Heute wäre das kaum möglich – und nicht nur weil der lange Assad jetzt viel größer ist als der alte Palästinenser. Die Palästinenser glauben den Syrern nicht; sie sind sicher, dass Syrien jederzeit bereit wäre, sie zu verkaufen, um den Golan zurückzubekommen. Die Syrer ihrerseits glauben, dass Arafat in Oslo einen Separatfrieden schließen und Syrien im Stich lassen wollte. Es trennt auch, dass Syrien die Oberherrschaft über Palästina anstrebt, das – zumindest der syrischen Geschichtsauffassung nach – zu Großsyrien gehört.

Syrien spielt im Nahostkonflikt keine Rolle, ist sowohl für Israelis wie Palästinenser unbedeutend. Ähnlich gering ist der Einfluss der deutschen Gesprächspartner von Assad: Zwar haben Schröder und Fischer mit Scharon Höflichkeiten ausgetauscht, doch trotzdem denkt dieser nicht daran, einen Friedensprozess zu starten. Denn das würde ja bedeuten, dass er jegliche Siedlungensaktion stoppen müsste. Das will und kann er nicht. Er verlangt darum etwas ganz Unmögliches: dass jeglicher Gewaltakt aufhört. Sogar wenn ein einziges Kind einen einzigen Stein auf einen einzigen Siedler werfen würde, käme es zu keinen Friedensverhandlungen. Arafat andererseits will und kann den Volksaufstand nicht vollständig abbrechen, ohne dass er eine klare Gegenleistung bekommt. Ohne eine solche – wie den Abbruch aller Siedlungsaktionen – würde ein Einlenken wie eine bedingungslose Kapitulation aussehen.

Die Amerikaner stehen dem hilflos gegenüber. Der Außenminister scheint kein Genie zu sein, noch weniger als seine Vorgängerin. In diese Bresche sollte die europäische Gemeinschaft springen. Wenn sie ihre traditionelle Feigheit überwinden würde, könnte sie wirklich etwas für den Frieden tun und zum Beispiel europäische Beobachter entsenden, um festzustellen, wer den so genannten Waffenstillstand bricht.

Viel steht auf dem Spiel. Klar ist, dass Scharon nur auf die Gelegenheit wartet, eine Großoffensive gegen die Palästinenser zu beginnen. Dazu braucht er die Genehmigung Amerikas. Noch wird sie von den USA verweigert, die fürchten, dann die Kontrolle über die arabische Welt zu verlieren. Aber eine einzige Provokation kann genügen, um den Krieg zu entfesseln.

In diesem Augenblick sind wir alle in der Lage des Menschen, der nicht einschlafen kann, weil er darauf wartet, dass der Mieter in der Wohnung über ihm seinen zweiten Stiefel auf den Boden wirft. URI AVNERY

Freier Publizist in Tel Aviv, ehemaliger Knessetabgeordneter