Kuba – ein beinahe idealer Standort

DaimlerChrysler produziert Reisebusse auf der sozialistischen Insel. In der Konzernzentrale hängt man das Projekt noch so tief wie möglich. An der Spitze einer Wirtschaftsdelegation will Wirtschaftsminister Werner Müller weitere Vorhaben anschieben

aus Havanna TONI KEPPELER

Havannas Kamele sind vom Aussterben bedroht. Die zu Bussen umgebauten Sattelschlepper, die wegen der zweihöckrigen Form ihrer Anhänger camellos genannt werden, waren einst der Stolz kubanischer Improvisationskunst. Bis zu 400 Menschen fanden in ihnen Platz. Als nach dem Zusammenbruch des Sowjetreichs auf der sozialistischen Insel Benzin und Ersatzteile für die dort üblichen Ostblockbusse knapp wurden, waren diese röhrenden Ungeheuer die vorläufige Lösung des Personenverkehrs. Jetzt werden die Kamele vom dreizackigen Stern von Mercedes verdrängt.

Der deutsch-amerikanische Konzern DaimlerChrysler betreibt auf der sozialistischen Insel ein Montagewerk für Nutzfahrzeuge. 30-Sitzer für den Tourismus und 40-Sitzer für den öffentlichen Personenverkehr werden hergestellt. In Havanna fahren bereits ein paar Dutzend, leicht zu erkennen am Stern auf dem Kühler.

Derzeit werden die ersten Busse in die Provinzstadt Holguin ausgeliefert. Mittelfristig, sagt José Ross vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei begeistert, sollen sie auch nach Zentralamerika exportiert werden. Der Erfolg ist angeblich sicher. Ross: „Ein bei uns montierter Bus ist um 12.000 Dollar billiger als ein importierter.“

Die Busmontage ist zwar nur eines von 322 Joint-Ventures mit ausländischen Unternehmen in Kuba, aber ein ganz besonderes. Die sozialistische Regierung, die sich in aller Regel die Mehrheit an solchen Gemeinschaftsunternehmen vorbehält, hat in diesem Fall 51 Prozent den Kapitalisten überlassen. Denn das Projekt ist nicht nur wirtschaftlich wichtig, sondern auch politisch brisant. Schließlich ist DaimlerChrysler zur Hälfte ein US-amerikanischer Konzern – und solchen ist es seit vierzig Jahren verboten, Geschäfte mit Kuba zu betreiben.

Das Werk firmiert deshalb nicht unter einem seiner bekannten Markennamen, sondern als „MCV – Manufacturing of Comercial Vehicles“. Rein rechtlich hat die Stuttgarter Konzernzentrale nichts damit zu tun. Kubas Partner im Joint-Venture ist der ägyptische Lizenznehmer von Mercedes-Benz. Die Blockadefetischisten um den US-Senator Jesse Helms sind ausgetrickst.

In der Stuttgarter Konzernzentrale hängt man das Projekt trotzdem so tief wie möglich. Das kubanische Joint-Venture „wird nicht mit Volldampf bearbeitet“, sagt DaimlerChrysler-Sprecher Karl-Heinz Knöss. Man habe nur den lokalen Markt im Auge. Der Export der Busse „gehört ins Reich der Fantasie“.

Möglicherweise nicht ganz. Der Journalist Volker Skierka zitiert in seiner unlängst erschienenen Fidel-Castro-Biografie den von Stuttgart nach Havanna entsandten MCV-Vermarktungsdirektor Günther Roller ganz anders: Der Standort Kuba sei einfach ideal. „Zum einen ist Kuba mit seinen elf Millionen Einwohner der größte einzelne Markt in der Karibik. Zum anderen bieten sich von hier aus enorme Wachstumspotenziale in den karibischen Raum hinein.“

Also doch Export in großem Stil. Um die handelspolitischen Voraussetzungen kümmert sich die Regierung in Havanna einstweilen schon. Zwar ist Kuba als einziges Land des Kontinents aus dem von den USA angeschobenen Projekt einer gesamtamerikanischen Freihandelszone ausgeschlossen. Mit einzelnen Mitgliedern aber hat Castro in den vergangenen Jahren Handelsabkommen geschlossen. Seit 1995 ist Kuba auch Mitglied der Welthandelsorganisation WTO. Sollten die USA also dereinst etwas gegen den Export kubanisch-schwäbischer Busse unternehmen wollen, könnten sie verklagt werden.

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