die jazzkolumne: Instant Karma: Sci-Fi-Jazz und andere Fusionen
Barbecue im Raumschiff
Sun Ra hatte vor allem auch einen cleveren Marketingstil erfunden, als er seine Band Arkestra taufte und sie einem hierarchischen Führungsstil unterordnete, den es so in der Geschichte des Jazz kein zweites Mal gab.
Nicht jeder Musiker seines Arkestras überstand das sozial und kulturell eher abstinente Alltagsleben in dem reglementierten Musikerhaushalt unbeschadet. Und nicht genug damit, dass über dem realen Leben in der Arche ständig der Pleitegeier wachte – mitten in der Nacht soll Sun Ra auch in seinen letzten Lebensjahren noch die Männer geweckt haben, um mit ihnen Michael-Jackson-Songs zu proben.
Der schwarze Kulturkritiker Stanley Crouch erinnert sich an Sun Ra als einen Mann, der angefüllt war mit den Basics des schwarzen Südstaatenlebens. Wäre Sun Ra in einem realen Raumschiff gereist, hätte er dort wohl ein Barbecue veranstaltet – nachbarschaftsfreundlich, antirassistisch und zutiefst down to earth. Das Ideologem von einer schwarzen Space-Music sei nichts als Bullshit, halb gare Software für die Musikmagazine, wieder mal ein Missverständnis afroamerikanischer Codes.
Nach außen war Sun Ras Archenmusik seine Eintrittskarte in den Kanon des offiziellen Sub-Pop gewesen. Der Crouch-Zögling Wynton Marsalis bemerkt dazu, dass der Jazz eine schwarze und das Raumfahrtprogramm eine weiße Erfindung gewesen sei. Und doch gibt es ihn, na klar – den Sci-Fi-Sound.
Der Bassist Christian McBride, noch unter dreißig, hat seine letzte CD „Sci-Fi“ genannt – vielleicht weil er in seiner Jugend gerne Science-Fiction-Filme geguckt hat, vielleicht weil er einfach den Klang des Fender Rhodes mag, das E-Piano schlechthin und wesentliches Identifikationsinstrument des Sci-Fi-Sounds.
Im Unterschied zu den leichtgängigen Gitarren- und Orgelgrooves der Jazz-Jam-Szene à la Medeski, Martin & Wood, Karl Denson und Charlie Hunter klingt Sci-Fi wesentlich komplexer. Eben sphärischer, abgehobener, abgedrehter, auf den ersten Blick eigentlich auch höchst uncool.
„It is not a dance remix record“, heißt es entsprechend bei der in Kürze erscheinenden Bill-Laswell-meets-Carlos-Santana-CD „Divine Light“, die von Laswell bearbeitete Stücke der beiden Santana-Alben „Illuminations“ und „Love Devotion Surrender“ von Anfang der Siebzigerjahre enthält. Dieses stark rockbelastete Chill-out-Zeug zielt, wie gesagt, ausdrücklich auf den Markt für sekundäres Hören – Soundtrack für Leute, die in erster Linie abhängen wollen.
In diesem Fall handelt es sich um ziemlich enervierende Versionen von „A Love Supreme“ und „Meditation“ mit Santana, John McLaughlin und der Harfe spielenden John-Coltrane-Witwe Alice Coltrane. Wie schon bei Laswells Miles-Davis-Fusion-Remake „Panthalaasa“ gibt es aber auch hier wieder einiges zum Schmunzeln, gerade wohl weil alles ganz ernst gemeint ist.
Dieses Zeug ist so dated und überholt, dass es schon fast wieder neu klingt, so radikal wurden die paar Licks und Sounds, die diese Musik so eindringlich prägten, damals ausgespielt. In jenen Tagen kannten McLaughlin, Santana und Coltrane einen Guru namens Sri Chimnoy, der sie mit neuen Namen und Glauben versorgte. Mahavishnu John, Turiya Alice und Devadip „das Auge, die Lampe und das Licht Gottes“ Carlos Santana drifteten mit ihrer Esoteric-Jazz-Nummer hart an der Grenze entlang. Nur wenige Jahre nach der ersten Mondlandung, so scheint es, war das Gefühl für Timing und Content doch etwas abhanden gekommen – auch Jazzmusiker hatten vor 32 Jahren die Übertragung aus einer anderen Welt gesehen und das dringende Bedürfnis verspürt, doch irgendwie wirksam zu werden.
Aber nicht nur Laswell spielt mit dem Genre der ramponierten Klänge, auch Herbie Hancock tut es.
Auf seiner demnächst erscheinenden CD „Future2Future gibt es Fender Rhodes und Korg Karma satt. Übrigens wohl die hippeste Auferstehung aus Klangruinen, einem elektronischen Sounderzeuger den Namen Karma zu geben. Doch der Vergleich mit den Originalen hinkt – John Coltranes „A Love Supreme“ machte Santanas Jazz-Rock-Coverversion retrospektiv betrachtet höchst überflüssig und zu Recht vergessen, und angesichts der anderen Jahrhundertplatte aus den Sechzigerjahren, „Karma“ von Pharoah Sanders, klingt das Instrument, mit dem Hancock vor wenigen Tagen beim Mainzer Zeltfestival auftrat, wie Notebookjazz.
Dass der über sechzigjährige Pianist und Keyboarder jedoch mit Buddha-Rap und Chaka Khan-Samples das überzeugendste Integrationsprojekt hinlegt, das die amerikanische Jazzszene zurzeit auf Tour bringt, hat schon Klasse für sich.
Kein Jazzstar seit Miles Davis ist so umtriebig, sperrig und erfinderisch wie Hancock, auch wenn das in seinen Konzerten nicht immer so schön verifizierbar war wie heute. Die Trompete von Wallace Roney, dem offiziellen Miles-Davis-Nachfolger, klingt verstopft, die Stimmung reduziert, Lautheit macht sich breit, der Rekurs auf die Anfänge des Fusion im Schatten von Mondgang und Vietnamkrieg ist offensichtlich. Dennoch stellt sich nach spätestens zehn Minuten das Gefühl ein, dass Fusion doch schon immer mehr eine Frage des Glaubens und der pure Gegenentwurf zum musikalischen Understatement war. Und deshalb gibt es bei der neuen Hancock auch Turntables und andere nicht mehr ganz so neue News aus der Welt des Off-Pop, die im Jazz wohl noch geraume Zeit als Novität durchgehen werden.
In einer Antwort auf die New York Times, die kürzlich eine europäische Jazzambient-Avantgarde entdeckte, die in Paris und Oslo gerade neue Sounds und Szenen begründet, kontert Gary Giddins in der Village Voice, dass die amerikanischen Jazzmusiker zurzeit zwar etwas einsam und liebebedürftig wirken mögen, ein Grundvertrauen in ihre kreative Potenz jedoch historisch gerechtfertigt und somit das Mindeste sei, was man ihnen entgegenbringen sollte.
Hancock zählt dabei zu den produktiven Ausnahmen. Und sein aktuelles „Future2Future“-Projekt funktioniert sogar in der Live-Version: Spacig, fett und komplex schwimmen die Sounds unter dem Mainzer Zelthimmel und bleiben doch nichts als Codes aus jüngeren Tagen. CHRISTIAN BROECKING
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