Indien und Pakistan unter Erfolgszwang

Das indisch-pakistanische Gipfeltreffen am Wochenende in Agra kann bestenfalls eine Annäherung zwischen den beiden verfeindeten Nachbarn beginnen. Einem Annäherungsversuch vor zwei Jahren folgte schnell die Ernüchterung

DELHI taz ■ „Ich bin zuversichtlich, dass wir mit vereinten Kräften fähig sein werden, das Misstrauen zu beseitigen, Konflikten abzuschwören und ein Gebäude von dauerhaftem Frieden, Harmonie und Kooperation zu errichten.“ Mit diesen Worten drückte Indiens Premier Atal Behari Vajpayee am 21. Februar 1999 seine Gefühle am Ende seiner historischen Reise ins pakistanische Lahore aus. Doch bereits drei Monate später brach das Gerüst erster vertrauensbildender Gesten ein, als pakistanische Truppen die Waffenstillstandslinie im Norden Kaschmirs überschritten und von Berggipfeln bei Kargil aus die strategische Straße nach Ladakh bedrohten.

Statt zum Personenaustausch kam es zum Austausch von Mörsern und MG-Salven. Sechs Wochen später blies Pakistan zum Rückzug. Die Welt konnte aufatmen, dass die frisch gekürten Atomwaffenstaaten einen Flächenbrand vermieden hatten. Doch der eben begonnene Friedensprozess lag in Trümmern.

Zwei Jahre später gibt es dieses Wochenende wieder ein Gipfeltreffen. Dabei ist unvermeidbar, dass Lahore und Kargil ein bisschen Licht und viel Schatten auf das Treffen werfen. Während Vajpayee Erinnerungen an Lahore weckt, zeigt sein Gast Pervez Musharraf, wie tief der Kargil-Konflikt in Pakistan nachwirkte. Denn der heutige Präsidentengeneral Musharraf war nicht nur Architekt des militärischen Abenteuers, sondern entmachtete auch sechs Monate später den Lahore-Gastgeber Nawaz Sharif.

Zwischen Lahore und dem jetzigen Treffpunkt Agra liegen eingefrorene Beziehungen. Selbst eine Feuerpause in Kaschmir konnte nicht verhindern, dass die Opferzahl weiter stieg, auch wenn an der Waffenstillstandsgrenze Ruhe einkehrte. Die grundlegenden Positionen blieben unverändert: Indien insistiert auf einem Stopp des „grenzüberschreitenden Terrorismus“, Pakistan drängt auf ein Endes des „Belagerungszustands“ durch Indiens Armee.

Doch die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Treffen sind jetzt nicht schlechter als 1999. Lahore war von starken Emotionen getragen. Doch der Beinahe-Krieg von Kargil ließ auf beiden Seiten Ernüchterung einkehren. Sie wissen nun, dass sie sich zusammenraufen müssen. Pakistan muss zur Kenntnis nehmen, dass Indien seine stärkere Militärmacht einzusetzen bereit ist, wenn es um die Verteidigung seines Territoriums geht. Und Indien kommt an Pakistan nicht vorbei, wenn es in Kaschmir eine Lösung sucht.

Bereits in Lahore war der Druck für eine Annäherung groß. Denn erst kurz zuvor hatten beide Staaten mit ihren Tests offen für eine Atombewaffnung optiert. Diesmal ist der Erfolgszwang wohl noch größer. Beide haben erkannt, wie sehr dieser Konflikt sie verdammt, klassische Armenhäuser zu bleiben.

Vajpayees Karriere neigt sich dem Ende zu. Er möchte als der Staatsmann in die Geschichte eingehen, der dieses Erbe der Kolonialzeit bereinigt hat. Als Führer der nationalistischen BJP kann er heute Konzessionen machen, die seine Partei früher als Ausverkauf der Heimat niedergeschrien hätte. Dies gilt in noch größerem Maß für Musharraf, der eine Armee führt, die zusammen mit der religiösen Rechten frühere Annäherungsversuche ziviler Regierungen regelmäßig unterlief.

Doch die Hürden bleiben hoch. Beide Länder halten beim Kernthema Kaschmir an Positionen fest, bei denen kaum gemeinsamer Grund festzustellen ist. Die Propaganda der Regierungspartei BJP nennt es „Ang“, einen Körperteil Indiens, der nicht amputiert werden darf. Pakistan spinnt die Metapher weiter und bezeichnet Kaschmir als „Shahrag“ – die Halsschlagader, durch die das Lebensblut des Landes pulsiert.

„Die Hindernisse können nur abgetragen werden in einem lang angelegten Prozess der gegenseitigen Annäherung“, sagt Indiens Ex-Verteidigungsminister George Fernandes. „Dafür braucht es Zeit, und es braucht vertrauensbildende Maßnahmen, die das gegenseitige Misstrauen reduzieren, etwa durch die Intensivierung des Personenaustauschs und des Wirtschaftsverkehrs.“

Bisher witterte Pakistan dahinter immer eine Absicht des Nachbarn, die Kaschmir-Frage einschlafen zu lassen und den Status quo zu zementieren. Im Vorfeld des Treffens von Agra wiederholt man jetzt in Indien ständig Musharrafs Eingeständnis, dass die Lösung eines derart tiefen Zerwürfnisses Zeit brauche. Und in Pakistan erschienen in großer Aufmachung Vajpayees kryptische Worte, beide Länder müssten „neue Wege suchen“. Das Festklammern an solch vagen Formulierungen signalisiert guten Willen, zeigt aber auch die Distanz, die beide Länder noch zurücklegen müssen, wenn sie sich auch außerhalb von Gipfeln treffen wollen.

BERNARD IMHASLY