Korruption als stetes Zubrot

Der aufgedeckte Bestechungsskandal in Frankfurt summiert sich aus kleinen, aber langfristigen Zuwendungen. Staatsanwaltschaft hofft auf Selbstanzeigen-Kampagne

Die Annahme vonGratifikationen im Amt wurde in Frankfurt nahezu geerbt

FRANFURT/MAIN taz ■ Oberstaatsanwalt Job Tilmann lächelt fein: Wer sich stellt, der darf mit Strafmilderung rechnen. Nutznießer eines der bisher bundesweit größten aufgedeckten Bestechungsskandale können sich selbst anzeigen. Das Angebot gilt allerdings nur noch bis heute. Ab morgen wird wieder ermittelt.

Die derzeit schon über 100 anhängigen Ermittlungsverfahren sind bereits im Dezember 2000 begonnen worden. Die Aufdeckung der flächendeckenden Korruptionsaffäre rund um das Frankfurter Rathaus Römer ist ein Zufallsfund, entdeckt durch Unterlagen, die bei einer Hausdurchsuchung in anderer Sache beschlagnahmt worden waren. Man habe dann zuerst nur, so Tilmann, gegen zwei Unternehmen wegen „Verdachts der Preisabsprache“ ermittelt.

Tillmann und seine Behörde sind geübt im Aufspüren untreuer, bestechlicher Beamter und Angestellter und ihrer Partner aus der freien Bauwirtschaft. Schon 1987 hatte ein Bestechungsskandal über 500 Ermittlungsverfahren vom Amtsleiter bis zur kleinen Angestellten zur Folge, 40 Firmen flogen von der Vergabeliste für städtische Aufträge. Auch damals war es – verglichen mit den Millionensummen bei Großprojekten in anderen Großstädten – am Main im Einzelnen um relativ kleine Beträge gegangen. Hier mal ein paar tausend Mark unauffällig ins Jackett gesteckt, dort ein Perserteppich vor die Tür gelegt, ein Auto, teure Schuhe, dazu Hundert-Mark-Scheine, Geschenkkörbe und Lotterielose für kleinere Angestellte und Mitläufer. Der Schaden läpperte sich auf insgesamt rund sechs Millionen Mark zusammen. Manche Zeugen berichteten, dass sie die Annahme von Gratifikationen im Amt nachgerade „geerbt“ hätten. Solches Gewohnheitsrecht wurde seinerzeit sogar als strafmildernd berücksichtigt.

Der rot-grüne Magistrat versprach 1989 Besserung, allen voran Stadtkämmerer Tom Koenigs (Grüne). Ein Antikorruptionsreferat und Computerkontrollstellen wurden eingerichtet, die Annahme von Geschenken und Feiern mit Unternehmern verboten, das „Vier-Augen-Prinzip“ bei der Vergabe öffentlicher Aufträge über 5.000 Mark eingeführt. Das alles hat offensichtlich nichts genützt und der Gemütlichkeit in den Frankfurter Amtsstuben keinen Abbruch getan: Fortan machten eben beide Mitarbeiter beide Augen zu. Manchmal bestachen die Unternehmen auch gleich drei Mitarbeiter. Die handelten gemeinsam und dividierten die Auftragssummen bis zur Einzelentscheidungsfähigkeit nach unten und zahlten für fingierte oder überhöhte Rechnungen oder nicht geleistete Arbeitsstunden.

Vor allem im Hochbauamt ist laut Staatsanwaltschaft abkassiert worden, ebenso in der städtischen Wohnungs-Holding Frankfurter Aufbau AG (FAAG), die komplett im öffentlichen Besitz, aber privatwirtschaftlich organisiert ist. Sie ist für den Unterhalt der städtischen Wohnungen und für Bauvorhaben zuständig. Aber auch andere bei der Zuständigkeit tangierte Behörden sind betroffen. Elf Bedienstete und Unternehmer haben inzwischen Geständnisse abgelegt, einer sitzt noch in Untersuchungshaft. Und wieder sind die Zuwendungen der beteiligten Baufirmen eher bescheiden, aber dauerhaft, oft über Jahrzehnte hinweg, gewährt worden. Die Unternehmen erhielten für ihre Gaben – Kameras, Reisen, Winterreifen, Gratisbenzin und heimlich hinterlegte Geldscheine – die Zuschläge nicht nur bei Schul-, Schwimmbad- und Wohnungssanierungen, sondern auch bei Neubauaufträgen.

Die Selbstanzeige-Aktion der Staatsanwaltschaft basiert auf der Erfahrung aus der Vergangenheit, als gegenseitige Schuldzuweisungen und Falschanzeigen die Ermittlungsarbeiten erschwert hatten. Ein ähnliches Angebot hatte damals wenig Resonanz, obwohl auch seinerzeit schon Einstellungen der Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße versprochen worden waren. Diesmal sicherten die Stadt Frankfurt und die FAAG gleichzeitig in einer auf den Personalversammlungen verlesenen Erklärung zu, dass es bei nur geringem strafrechtlichem Verschulden nicht unbedingt zu einer Entlassung kommen müsse, sondern ein Geständnis „in der dienst- und arbeitsrechtlichen Beurteilung“ gewürdigt werde. Firmen könnten den Schaden durch Wiedergutmachung beheben. Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) nannte die Ermittlungen gestern „das Schlimmste, was passieren konnte“. Bei der Kommunalwahl 1989 hatte die damalige Bestechungsaffäre die CDU die absolute Mehrheit gekostet. HEIDE PLATEN