Der Adel ist nicht faul

„Bei mir ist das Geld besser aufgehoben als bei Herrn Eichel“, sagt Friedrich von Zobeltitz. Aber um Geld allein geht es nicht

aus Kelkheim BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Wer bei Friedrich von Zobeltitz klingelt, betritt zwei Welten. Da ist zum einen das kleine zweistöckige Häuschen im Grünen, gelegen auf einem Hügel in Kelkheim bei Frankfurt. Im Wohnzimmer weinrote Rosen auf Sofa und Sesseln in Irisch Leinen, auf dem Boden alte Teppiche, an einer Wand eine Ikonensammlung, an einer anderen Dutzende von Geweihen. Und dann gibt es da all die Bilder, Fotos und alten Stiche, die kaum eine freie Stelle an den Wänden lassen. Sie erinnern den 79-Jährigen, den es Anfang der 50er-Jahre nur zufällig in den Taunus verschlagen hat, an Preußen, an die Monarchie und an die Adelsfamilie von Zobeltitz, deren Wurzeln bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen.

Friedrich von Zobeltitz ist nicht in der Vergangenheit stehen geblieben. Doch sie gibt ihm Halt und steht für eine Zeit, als er „wie ein kleiner König lebte“. 1926, als er fünf Jahre alt war, vererbte ihm eine Tante, die sich mit seinem Vater nicht gut stand, ein Familiengut in Niederschlesien. Der Vater fungierte als Verwalter. Ein Gut mit dem Zobelwappen über der Toreinfahrt, 750 Hektar Land, schnellen Pferden im Stall, Tennisplatz und Badeteich im Garten. „Wir sind meißischer Uradel, das Beste vom Besten eigentlich“, sagt Friedrich von Zobeltitz, während seine Frau Else Himbeertorte und Kaffee aufträgt. Die Schwester des letzten deutschen Kaisers war die Patentante seiner Mutter, der Bruder seines Vaters, ein königlich preußischer Rittmeister, war befreundet mit dem letzten deutschen Kronprinzen, ein Zobeltitz war Page bei Friedrich dem Großen. Dass seine Tochter in ein altes süddeutsches Adelsgeschlecht einheiratete, welches die Burg von Götz von Berlichingen am Neckar erwarb, erfüllt ihn mit sichtbarer Freude. Aber, so betont Friedrich von Zobeltitz, in der Hand eine Ausgabe der Heimatzeitung Schlesien mit einem Foto des mittlerweile heruntergekommenen Familiengutes: „Wir sind keine Traumtänzer. Wir werden unser Gut nie wiederkriegen.“ Trotzdem hat er in seinem Testament seinen Enkel als Erbfolger eingesetzt. Man weiß ja nie.

Seit einigen Monaten ist Friedrich von Zobeltitz erneut zu Gange in Sachen Familienbesitz. Diesmal geht es jedoch um vergleichsweise wenig. Um genau zu sein, und das ist der Mann, sind es 2.624 Mark und 19 Pfennig. Von der Existenz des Geldes hat er durch Zufall erfahren. Die Schriftführerin des Adelsverbandes schickte ihm im vergangenen Jahr eine Liste des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen (BARoV). Es war eine Aufgebotsliste, mit der Anspruchsberechtigte von Konten gesucht werden, die seit mindestens sechzig Jahren existieren und in der DDR staatlich verwaltet wurden (siehe Kasten). Unter dem Buchstaben „Z“ fand Friedrich von Zobeltitz zwei magere Zeilen: „Zobeltitz von, Hans-Casper, St. Wolfgang, Honorarforderung, Verlagsbuchhandlung Lange & Meuche, Guthaben: 2.624,19 DM, Az. II 2-911/99, Frist: 08.11.2001.“

Friedrich von Zobeltitz ist sich ziemlich sicher, Anspruch auf die Honorarforderung des Cousins seines Vaters zu haben. Als Beweis holt er ein Buch des Adelsarchivs in Marburg von 1994 hervor, in dem die zwei Zobeltitz-Zweige Spiegelberg und Gleinig aufgeführt sind. Dort steht, dass Hans-Caspar Anton Constantin von Zobeltitz vom Zweig Spiegelberg am 7. August 1883 in Berlin geboren wurde, Schriftsteller und Schriftleiter von Velhagen und Klasings Monatsheften, Major zur Verfügung und „Rechtsritter des hohenzollerischen Hausordens mit Schwertern“ war und am 10. August 1940 in einem Lazarett in Meiningen gestorben ist. Entscheidend ist für Friedrich von Zobeltitz vom Zweig Gleinig das Wörtchen „erloschen“, das unter dem Zweig Spiegelberg steht. Das heißt, dass die zwei Ehefrauen, die beiden Söhne und die Schwester von Hans-Caspar von Zobeltitz als Erben nicht in Frage kommen, weil sie verstorben sind. „Ich, mein Sohn und meine zwei Enkelsöhne sind die letzten regulären von Zobeltitz.“ Und: „Wenn sie keinen anderen finden, ist das Geld besser bei mir aufgehoben als bei Herrn Eichel.“

Friedrich von Zobeltitz ist selbständiger Kaufmann und weiß zu rechnen. Es gibt für ihn zwei Möglichkeiten: „Klappe zu, Affe tot“, wie er lachend sagt. Das hieße, keine Ansprüche auf das Guthaben geltend zu machen. Oder zu kämpfen. Weil das eher seinem Naturell und der Betrag in etwa seiner monatlichen Rente entspricht, hat sich der Mann mit dem resoluten Charme für Letzteres entschieden. Nach 1945 hat er von Stoffen bis zu Leuchtmunitionshülsen so ziemlich alles verkauft, was zu Geld zu machen war. Seine Lebensdevise: „Ein Vogel geht ein, wenn er sich nicht sein Futter sucht.“

Mit seinen fast 80 Jahren ist er auch heute noch im Jahr bis zu 25.000 Kilometer als Handelsvertreter für Stoffe unterwegs. Ihm war es immer wichtig zu beweisen, „dass der Adel nicht faul ist“. Persönlich kannte Friedrich von Zobeltitz den vor fast 61 Jahren verstorbenen Hans-Caspar nicht. Doch er erinnert sich an Erzählungen seines Vaters und besitzt mindestens zwanzig von ihm verfasste Bücher: Romane wie „Kleine Frau auf großem Schiff“, Bücher über Hindenburg wie „Ein Leben der Pflicht“ oder Dokumentationen wie die über den Versailler Vertrag. Friedrich von Zobeltitz hat zudem den Roman zu Hause, der als Vorlage zu dem Film „Kora Terry“ mit dem Revuestar Marika Rökk diente. Auf welche Publikationen sich die überwiesenen 2.624,19 Mark beziehen, lässt sich nicht mehr ermitteln. Nach Angaben des Sächsischen Staatsarchivs in Leipzig wurde die Verlagsbuchhandlung „Lange & Meuche“ 1911 in Leipzig gegründet, 1987 wurde der Firmeneintrag gelöscht.

Friedrich von Zobeltitz hat kaum eins der Bücher gelesen. Ihr Stil entspreche „nicht mehr so ganz unserer Zeit“. Er lese viel – „nur leider nicht genug, weil mir die Zeit fehlt“. Aber, so sagt er mit erhobenem Zeigefinger, „ich weiß, was ich gelesen habe“. Man glaubt es ihm aufs Wort.

Der Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer, einige Sessel und eine Kommode im Wohnzimmer sind mit Bergen von Zeitungen und Schreiben bedeckt. Seit Friedrich von Zobeltitz sich das erste Mal mit dem Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen in Verbindung gesetzt hat, ist der Stapel auf seinem Schreibtisch um einige Papiere angewachsen. Denn um seine Ansprüche geltend zu machen, reichen Anekdoten und Einträge im Adelsarchiv nicht aus. Friedrich von Zobeltitz muss einen Erbschein vorlegen. Und den stellt nur das Amtsgericht am letzten Wohnort des Verstorbenen aus. Doch Friedrich von Zobeltitz weiß nicht, wo Hans-Caspar zuletzt gelebt hat. In der Aufgebotsliste steht zwar St. Wolfgang. Doch ob es sich um St. Wolfgang in Bayern oder Österreich handelt und ob einer der beiden Orte auch der letzte Wohnort war, steht in den Sternen – noch.

Vielleicht kommt Friedrich von Zobeltitz beim Amtsgericht in Berlin-Schöneberg weiter. Dort lagert auf dem Boden eine Akte über den Verstorbenen. Nun muss Friedrich von Zobeltitz dem Amtsgericht seine Fragen nach dem letzten Wohnort oder dem Vorliegen eines Testaments schriftlich vorlegen und den Verwandtschaftsnachweis erbringen. Je nach Sachbearbeiter wird das Adelsregister als Verwandtschaftsnachweis anerkannt.

Für Friedrich von Zobeltitz ist es einen Versuch wert. „Es ist mein gutes Recht, die Forderung geltend zu machen“, sagt er. Doch ob sich der Wunsch seiner Frau erfüllen wird, mit dem Honorar von Hans-Caspar von Zobeltitz nach Baden-Baden auf die Rennbahn zu fahren, ist ungewiss. Friedrich von Zobeltitz gibt sich trotz seiner Befürchtung, „gutes Geld hinter schlechtem hinterherzuwerfen“, gelassen. „Wer so viel verloren hat wie unsereiner, der verschmerzt auch, wenn das jetzt nicht klappt.“ Wie zur eigenen Erheiterung zitiert er ein altes schlesisches Sprichwort: „Genieße dein Leben beständig, denn du bist länger tot als lebendig.“ Bis November hat er Zeit, Finanzminister Eichel die 2.624,19 Mark streitig zu machen. Dann erlischt die Anspruchsfrist.

Bleiben werden Friedrich von Zobeltitz auf jeden Fall der Stolz auf seinen Geburtstag, den 17. August, weil an einem 17. August Friedrich der Große starb, und der Stolz auf seine adligen Wurzeln. Auf die Frage, ob es ein großer Affront wäre, ihn ohne das Wörtchen „von“ anzusprechen, antwortet er halb im Ernst, halb im Spaß: „Wenn jemand Barsch heißt, sage ich ja auch nicht ‚Guten Tag, Herr Arsch‘.“