„Mit der Menschenwürde nicht vereinbar“

Rüdiger Wolfrum, Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Forschungsgesellschaft, über die ethische Vertretbarkeit der Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken. Einen Import von Stammzellen nach Deutschland lehnt die DFG strikt ab. Möglichst rasch neues Gesetz

taz: US-Forscher haben Embryonen „erzeugt“, um daraus drei neue Stammzelllinien zu gewinnen. Würde die DFG dem Import dieser Stammzellen auch zustimmen?

Rüdiger Wolfrum: Nein, die DFG hat sich klar dafür ausgesprochen, dass sie nur den Import von Stammzellen aus überzähligen Embryonen gutheißt.

Kann man das kontrollieren?

Ja, jede der Stammzelllinien muss dokumentiert werden. Bei den USA wird man dann in Zukunft besonders aufmerksam prüfen müssen.

Nun könnte dieses Institut mit besonders guten Forschungsbedingungen werben. Gerade die bisher verfügbaren US-Stammzellen werden ja nur abgegeben, wenn die Forschungsergebnisse dem US-Institut zugeschrieben werden. Könnten neue Möglichkeiten nicht die Forscher locken?

Dieses Argument halte ich für ethisch völlig irrelevant. Die Eizellspende, die hier vorausgesetzt wird, degradiert die Frauen zu Eizellproduzentinnen. Das ist mit der Menschenwürde, wie sie in Deutschland verstanden wird, schlechterdings unvereinbar. Wenn man die US-Stammzellen mit ihren harten Konditionen nicht nutzen will, muss man sich eben mit Israel oder Australien einigen. In Israel sind die Bedingungen sehr forschungsfreundlich.

Der Forschungsvorstand von Schering fordert bereits, dass auch in Deutschland Eizellen für die Stammzellgewinnung hergestellt werden sollen, ist das für Sie vorstellbar?

Die Erzeugung von Embryonen ist nicht nur ethisch unvertretbar, sondern auch unnötig. Wenn etwas unnötig ist, ist es auch ethisch nicht begründbar.

Würde die DFG überhaupt die Erzeugung von Stammzellen befürworten?

Für die DFG gibt es eine Hierarchie des Vorgehens: Alle Möglichkeiten der Forschung an Tieren müssen ausgeschöpft sein. Dann hat die Forschung an adulten Stammzellen Vorrang, dann kommt der Import. Nur, wenn der Import nicht die notwendigen Möglichkeiten für die Forschung gewährleistet, dann sollte der Gesetzgeber erwägen, das Embryonenschutzgesetz zu lockern, so dass die Forschung an Stammzellen aus überzähligen Embryonen möglich ist. Das ist definitiv die letzte Stufe.

Die Forscher in Virginia haben keine ethische Bedenken: Es sei für die Eizellspenderin leichter, wenn sie von Anfang an wisse, dass sie nur ein Forschungsprodukt hervorbringt. Können Sie das nachvollziehen?

Nein. Erstens wird dann ein beginnender Mensch hergestellt, um getötet zu werden, zweitens darf man die Frauen nicht zu Eizellproduzentinnen degradieren.

Die Frauen sind damit aber ganz einverstanden. Können die mit ihrem Körper nicht machen, was sie wollen?

Nein. Menschenwürde ist nicht disponibel. Sie können sich auch nicht in die Sklaverei verkaufen, auch wenn sie noch so sehr damit einverstanden sind.

Das heißt, der Staat definiert die Menschenwürde, und die Frau hat sich danach zu richten?

Natürlich darf diese Definition nicht willkürlich sein, aber in diesem Fall besteht in Deutschland ein Konsens.

Wenn nun die US-Forschung voranprescht, weil dort mehrere Stammzelllinien zur Verfügung stehen, schaut die DFG dann in Ruhe zu?

Es gibt in Deutschland bisher einen einzigen Antrag zu dieser Forschung. Ich würde das deshalb nicht so dramatisch sehen. Die Forschung ist langwierig, und dieses Institut gibt an, Grundlagenforschung zu betreiben. Hier ist die Konkurrenz weniger groß als in der anwendungsbezogenen Forschung.

Sehen Sie irgendeine Möglichkeit, auf die Forschung in Ländern wie den USA Einfluss zu nehmen?

Die Fragen, die wir in Deutschland diskutieren, werden in den USA gar nicht diskutiert. Es wäre wünschenswert, wenn die großen Forschungsgemeinschaften international gemeinsam ihre ethischen Grundlagen formulierten. Aber Ansätze dazu sehe ich bisher nicht.

Auf private Forschungsinstitute haben weder die DFG noch der Ethikrat bindenden Einfluss. Steht nicht zu befürchten, dass privat finanzierte Forscher Stammzellen auch aus Virginia importieren?

Natürlich können auch diese Forscher sich auf die Forschungsfreiheit berufen. Aber wir müssen vom Gesetzgeber verlangen, dass er die verfassungsrechtlichen Grenzen für die Forschungsfreiheit, die es ja gibt, konkretisiert. Und zwar so schnell wie möglich.

Also mit einer Neufassung des Embryonenschutzgesetzes?

Oder mit einem Fortpflanzungsmedizingesetz. Nur schnell sollte es gehen.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH