: Wenn's nicht passt: Abpfeifen!
■ Glücksuche forever: Arnon Grünbergs „Bar Israel“
Eine weibliche Schnapsleiche schläft, an eine Palme gelehnt, ihren Rausch aus. Über ein Treppenpodest betritt ein Mann im Anzug die mit Zigarettenschachteln und zersplitterten Champagnergläsern zugemüllte Strandpromenade. Oder kehrt er nur nach einer durchgefeierten Nacht in seine Bar zurück?
In die Bar Israel – so der Titel der Eröffnungsveranstaltung des diesjährigen Die Wüste lebt-Festivals. Christoph Diem verwebt in seiner Inszenierung zwei Texte des Niederländers Arnon Grünberg. Passend zum Alter von Autor und Regisseur kreist das Stück eine gute Stunde um Menschen ab 30 auf ihrer Suche nach Glück, Identität oder gleich dem Sinn des Lebens als solchem. Den Hintergrund dieser Universalie des Menschseins bildet die Suche der Juden nach dem Gelobten Land und ihre unerfüllten Sehnsüchte. Aktualität also gleich in zweierlei Hinsicht.
Zentrale Frage in Diems Inszenierung ist die nach der – eigenen – Geschichte und danach, wie stark das Leben durch das Erbe von Leiden, Selbstmitleid und Schuld gesteuert wird. So befinden sich die vier Personen in einem Schwebezustand, isoliert von sich und der Welt: ohne Identität keine Heimat, und ohne Namen keine Existenz. Sie sind überflüssig, „wie die Tauben am Hauptbahnhof“.
Was den Namenlosen bleibt, ist ihr eigener Film, ihr eigenes krampfhaftes In-Szene-Setzen. Jeder kramt die scheußlichsten Stories hervor, ohne Rücksicht auf ihren Wahrheitsgehalt: Aus einer gewaltsamen Vergangenheit wird eine KZ-Inhaftierung, und ein schmieriger, kleiner Barbesitzer entwirft sich als „König der Unterwelt“, einer, der alles über Titten weiß. Kaum artikuliert einer der Protagonisten sein Leid, hören alle zu – aber nur, um schnell zurückzuschlagen: „Ist das wieder die Leidensnummer?“, heißt es dann la-konisch.
Daseinslizenz verschafft einzig das Rampenlicht. Im erbitterten Kampf um den besten Platz auf der Bühne will jeder eine Geschichte loswerden, die ihm erst seinen Platz in der Welt verleiht. Doch manchmal kommt das Erzählte zu nah, und dann wird abgepfiffen: Nächs-te Szene. Ein anderer soll sich ausziehen. Die Idee der Geschichte in der Geschichte findet so bei Diem eine entsprechende dramaturgische Umsetzung.
Was allerdings fehlt, sind runde, ausgearbeitete Charaktere und eine bedeutsame Bespielung der Bühne. Zwar zeigt die Inszenierung das desolate Aneinandervorbei der Personen. Manchmal wirken die Schauspieler aber doch ein wenig arg alleingelassen und schablonenhaft und können ihre Figuren nicht mit ausreichend persönlichen Eigenschaften füllen.
Liv Heidbüchel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen