Wenn Kunst in Erde macht...

■ Terra: Neun Künstler stellen im Gerhard-Marcks-Haus mindere und bessere „Erdarbeiten“ aus

Terra. Eine Ausstellung, die so heißt und dann auch noch im Viertel stattfindet, da also, wo die Toscana-Fraktion an – fast – jeder Ecke lauert, weckt gewisse Befürchtungen. Terra. Ist Buddel, der Bremer PR-Maulwurf jetzt in den hehren Hallen angekommen? Immerhin: Vor dem Museum ist die Straße aufgerissen und drinnen jetzt also auch? Oder geht es etwa um Terra X? Sonst ein Hokuspokus? Terrakotta oder womöglich sogar Mutti Erde in Reinkultur?

In der Tat: Im ersten großen Raum hängen Gazé-Streifen von der Decke, darauf das Bild einer verdammt gut gebauten Frau, die sich vorher in Erde wälzte. Abgesehen davon, dass sich der leise Verdacht aufdrängt, die Künstlerin könnte bei den Formen nachgebessert haben und damit ihrer Idee vom „flüchtigen Moment der Erinnerung, in der der Mensch ganz nah an der Natur war“ selber torpediert hat – ganz abgesehen davon: Wie schafft man es eigentlich, mindestens 30 Jahre Kunstgeschichte an sich abtropfen zu lassen und sich dermaßen naiv mit dem Thema Erde auseinanderzusetzen?

Aber die Exponate von Sylvia Kornmacher sind ja nicht das einzige, was die Ausstellung zu bieten hat. Man kreuze von ihren Erd- und Schattenbildern quer durchs Museum, biege links um die Ecke – denn dort wird das Leichentuch für Mutter Erde gewebt. Beziehungsweise installiert. „Modular Hydroponic Units“ heißt die Arbeit der Kopenhagener Künstlergruppe N55. Eine leicht montierbare Anlage aus Kunststoffröhren, Pumpen, Filtern, durch die Nährstoffflüssigkeiten träufeln. Darin wachsen Pflanzen. Hier: Bohnen. Eine vierköpfige Familie könnte mit diesem Indoor-Garten ihren Gemüsebedarf oder vielmehr den spezifischen Bedarf an Vitaminen und Nährstoffen decken. Neu ist diese Anordnung auch nicht, aber die Kritiklosigkeit, der Pragmatismus, mit dem hier technischen Möglichkeiten der Natur-Entfremdung präsentiert werden, hat etwas Verstörendes. Ob das nämlich Kunst ist, was die Gruppe zeigt, steht sehr in Frage. Immerhin arbeitet sie an diversen Konzepten, in denen es darum geht, möglichst vielen Menschen den Zugriff auf eine einfach strukturierte Lebensgestaltung zu ermöglichen. Die Loslösung von Umwelteinflüssen ist zentral.

Die Radikalität, mit der die Gruppe dem Erd-Kitsch entkommt, ist einWeg, der Gefahr, die droht, wenn Kunst in Erde macht, zu entkommen. Ein anderer ist die künstlerische Metaebene. So steht man einigermaßen ratlos vor einer Sammlung völlig banaler Aquarelle auf Büttenpapier – hübsch gefertigt, etwas, womit sich Straßenkünstler in Frankreich oder so über Wasser halten...Aber im Marcks-Haus? Das dann doch nicht. Der Waschzettel zur Kunst präsentiert die Lösung. S.M.V. heißt der Titel der Bilderreihe und das heißt nichts anderes als Somme, Marne, Verdun. Schauplätze, an denen sich die Menschen im ersten WEeltkrieg im Nahkampf abgeschlachtet haben, blutgetränkte Erde, heute ein Motiv für's Aquarell – da geht sie hin, die Unschuld der Kunst oder jedenfalls dieser. Auch schön: die Gummi-Matten, unregelmäßig geschnitten, mit denen Hanswerner Kirschmann die Terrasse des Marcks-Hauses bestückt. Der Katalog zur Ausstellung (für 39 Mark) erinnert an die Psycho-Bildchen, bei denen man nicht weiß: sieht man einen Frauenkörper oder einen Männerkopf. Was ist der Hintergrund? Was die Zeichnung? Dazu kommt noch eine schöne Materialassoziation: wie ausgegossener Teer liegen die schwarzen Matten auf dem korrekt gepflasterten Innenhof.

Viele Ansätze und ein Thema – das macht Ausstellungen wie diese interessant, auch wenn nicht jedes Objekt wirklich sehenswert ist.

hey

„Terra“ ist der dritte Teil einer Ausstellungsreihe des Gerhard-Marcks-Hauses, in der es um die vier Elemente – Feuer, Wasser, Erde, Luft – geht. Sie wird am Sonntag um 11.30 Uhr eröffnet und dauert bis zum 7. Oktober. Jeden Donnerstag um 17 Uhr werden thematische Führungen angeboten. Auch am Sonntag gibt's Führungen.