Kunst kommt in die Kieze

Wo bislang tote Hose und gähnender Leerstand das Straßenbild prägten, bringen alternative Kunstprojekte wieder Leben in die Bude – öffentlich gefördert, aber meist zeitlich begrenzt

von LARS KLAASSEN

Der Beusselkiez ist nicht gerade eine angesagte Nightlife-Ecke, genauer: tote Hose. In der Wittstocker und Rostocker Straße war das am 6. Juli anders: Zugereistes Jungvolk und Anwohner schlenderten die halbe Nacht zwischen sechs ehemals leer stehenden Ladenlokalen hin und her, in denen Künstler gemeinsam ihre Ausstellungen eröffneten.

Von der klassischen Vernissage mit Bildern, Lyrik und Installationen über artifizelle Ladenkonzepte, in denen getauscht werden kann oder Exotisches wie Kekswäsche angeboten wird, bis hin zur Kneipe reicht die Palette der Spielarten. Highlight des Abends war das Guppy-Rennen im speziell angefertigten Aquarium – Wetteinsätze inklusive.

Das Projekt „Zentrale Moabit“ geht mit neuer Konzeption in die – nun auf längerfristige Nutzung ausgelegte – zweite Phase. Die Künstlerinnen und Künstler werden vermehrt dort arbeiten und wie gewohnt Veranstaltungen organisieren. Im Vordergrund wird der Prozess künstlerischen Arbeitens stehen. Die ständige Präsenz und der kontinuierliche Austausch vor Ort sollen zu einer intensiveren künstlerischen Auseinandersetzung inmitten des Beusselkiezes beitragen. Seit Oktober 2000 wurden im Problemquartier bis zu 13 Geschäfte bespielt, die bis dato als Brachen vor sich hin vegetierten. Initiiert wurde das Projekt von Anwohnern, die den eigenen Kiez wieder beleben wollten. Das Vorhaben war zunächst nur auf ein halbes Jahr angelegt.

Organisatorisch und finanziell unterstützt wird „Zentrale Moabit“ vom Quartiersmanagment des Stadtviertels. 20.000 Mark hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung über das Quartiersmanagement im vergangenen halben Jahr in das Vorhaben investiert. Die Künstler mussten die Betriebskosten für die Nutzung der Lokale aufbringen und zahlten darüber hinaus lediglich zwei Mark pro Quadratmeter. Der Rest wurde durch Fördergelder zugeschossen. Die Eigentümer hatten ohnehin nichts zu verlieren, sie zeigten sich kooperativ. „Ansonsten wäre das Projekt für uns nicht finanzierbar gewesen“, sagt Annette Beisenherz, eine der Künstlerinnen.

Für Quartiersmanagerin Susanne Sander ist „Zentrale Moabit“ nicht nur schrilles Kunst-Event, sondern auch langfristige Stadtentwicklungsmaßnahme: „Schon allein die Medienberichterstattung hat dem Kiez einen erheblichen Imagegewinn beschert.“ Künstler und HdK-Studierende, die das Projekt besucht oder begleitet haben, zeigten Interesse, in den Beusselkiez zu ziehen – Aufbruchstimmung wie in Prenzlauer Berg um 1990. Auch zunächst zögernde Anwohner, so Sander, hätten mit der Zeit zunehmendes Interesse an den Aktivitäten im Kiez gezeigt.

„Zentrale Moabit“ ist kein Einzelfall: Im Soldiner Kiez haben 30 Künstler neun Läden bezogen, die sie bis Ende September als Ateliers nutzen. Das Gemeinschaftsprojekt von Bildhauern und Malern, bespielt die temporären Arbeitsbereiche wider die klassische Harmonie bewusst mit unterschiedlichen Herangehensweisen, Wahrnehmungen und Raumauffassungen. Die „Kolonie Wedding“ firmiert unter dem Motto „Kunst nutzt Freiraum“. Jeden zweiten Samstag im Monat sind Interessierte dort zu Rundgängen eingeladen, von 18 Uhr bis open end.

Bis zum Ende des Jahres werden auch am Boxhagener Platz in Friedrichshain zehn leer stehende Geschäfte als Ateliers und Ausstellungsräume genutzt. „Boxion“ wird ebenso wie die „Kolonie Wedding“ und die „Zentrale Moabit“ vom Quartiersmanagement unterstützt. Auch hier soll der Austausch zwischen Bewohnern und Künstlern sowie die Kooperation zwischen Stadtteilarbeit und Projekt den Standort nachhaltig beeinflussen. An jedem sechsten Sonntag finden Rundgänge statt, auf denen die Ateliers zum öffentlichen Raum gemacht werden.

Zentrale Moabit: Jeden ersten Freitag im Monat finden gemeinsame Veranstaltungen statt. Am 3. August eröffnet in der Rostocker Straße der „Zooladen“, www.zentrale-moabit.de. Kolonie Wedding: Jeden zweiten Samstag Rundgänge ab 18 Uhr, am 14. Juli mit Straßenfest, www.kolonie-wedding.de. Boxion: Jeden sechsten Sonntag Rundgänge, am 15. Juli mit Straßenfest, www.boxion.de.