Leidensvermittlung

Stringent erzählt: Kevin MacDonalds Dokumentation über das Geiseldrama während der Olympiade 1972

„Es tut mir Leid, aber ihr habt uns eine öffentliche Bühne geboten, die wir einfach nutzen mussten“ – das waren die Worte des palästinensischen Wortführers an den Repräsentanten des Nationalen Olympischen Komitees am 5. September 1972. Wenige Stunden zuvor hatte sein Kommando die Wohnungen des israelischen Olympiateams im Olympiadorf München überfallen und 13 Sportler als Geiseln genommen.

Es hatte eine saubere Olympiade werden sollen, 36 Jahre nach der Nazi-Olymiade von Berlin, 27 Jahre nach Kriegsende, der Beweis der Resozialisierung Deutschlands: Keine Polizei auf dem Gelände, die Vermeidung jeglichen totalitären Gebarens. Am Ende waren alle 13 Geiseln tot, außerdem fünf der acht palästinensischen Entführer. Gerald Seymour, der damals als Reporter vor Ort war, fragte ratlos nach der „utter German ruthless efficiency“.

Das Leiden und seine mediale Vermittelbarkeit sind das Thema von Kevin MacDonalds Dokumentation „Ein Tag im September“, die versucht, die Ereignisse dieses Tags zu rekapitulieren. Wobei hier schon beim Begriff der Dokumentation (die Kategorie, in der der Film vor zwei Jahren den Oscar gewonnen hat) eine erste Einschränkung gemacht werden müsste, was ganz direkt auch mit der medialen (Un-)Möglichkeit der Vermittelbarkeit von Leid zu tun hat. Welche Transferleistung muss erbracht werden, um den politischen Konflikt auf ein menschliches Drama herunterzurechnen? Und wie viel Verdrängungsarbeit ist erforderlich, um komplexe politische Zusammenhänge in eine stringente Narration zu bündeln? Die Form der Filmerzählung macht eine klassische Dramaturgie erforderlich, die der Wirklichkeit einerseits nie gerecht werden kann, andererseits aber strukturell neue Realitäten produziert.

„Ein Tag im September“ ist ein packender, schnörkelloser Thriller, der sich der Stilmittel des Actionfilms bedient, um aus dem Geiseldramastoff eine emotional aufgeladene Tragödie zu formen. MacDonald verbindet Interviews mit Überlebenden, Angehörigen und Augenzeugen mit Archivaufnahmen, nachgestellten Szenen und animierten Sequenzen. Letztere sind nötig, um der dramatischen Konstellation die nötige Transparenz und Spannung zu verleihen, die sich durch das Archivmaterial nicht einstellen können. Der politische Hintergrund wird darüber zum biografischen Schnörkel, genauso wie das klägliche Versagen der Polizei zum bloßen Mittel der Suspense verkommt, das im Hollywood-Film die Funktion hat, den Showdown noch ein letztes Mal hinauszuzögern. Das Perfide hier: Es gibt kein Happy End.

ANDREAS BUSCHE

„Ein Tag im September“. Regie: Kevin MacDonald, USA/GB/Schweiz 1999,88 Min. Eiszeit-Kino, Zeughofstr. 20, Kreuzberg, tägl. 20 Uhr