„Kleinste Parfümfabrik der Welt“

taz-Serie „Schrille Läden“ (Teil 4): Parfüms nach Gewicht und künstliche Blumen. In Charlottenburg kann man sich von fünfzig Duftnoten einfangen lassen und sich die ganz speziellen für sich abstimmen lassen. Die Wässerchen stellt die Firma selbst her

von DANIEL FERSCH

Biegt man von der quirligen Wilmersdorfer Straße mit ihren Konsumtempeln in die Kantstraße, dann eröffnet sich nach wenigen Metern eine andere Welt. Hier endet nicht nur die Fußgängerzone, sondern auch die postmoderne Shoppingzone. Keine H&Ms, New Yorkers und Schleckers mehr, sondern altmodische Geschäfte für Schmuck oder Drogerieartikel. Ein abblätternder 50er-Jahre-Glanz hängt auch dem Schaufenster der Hausnummer 106 an, über dem der Schriftzug „Parfums nach Gewicht und künstliche Blumen“ prangt.

Seit 1958 residiert das Unternehmen in dem Charlottenburger Ladengeschäft, und seitdem wurde von der Inneneinrichtung höchstens die Registrierkasse ausgetauscht. Anders als in den heute üblichen Parfümeriemärkten schlägt einem beim Eintreten keine Duftwolke entgegen. Von den fünfzig verschiedenen Düften, die in großen Glasbehältern auf einer Anrichte aufgereiht stehen, weht nur ein leichter Hauch durch den Raum.

Traditioneller Service wird hier groß geschrieben: Eine Verkäuferin im weißen Kittel schätzt mit geübtem Auge den Dufttyp des Kunden ein und lässt die passenden Düfte Probe riechen. Kommt man zur rechten Zeit, wird man sogar von der Seniorchefin höchstpersönlich bedient.

Edith Lehmann ist die Schwiegertochter des Firmengründers und seit mehr als 60 Jahren im Geschäft. Befragt über das Unternehmen, gerät die alte Dame ins Schwärmen: „Wir sind einmalig in Deutschland.“ 1926 eröffnete Harry Lehmann „die vielleicht kleinste Parfümfabrik der Welt“, in einer Zeit in der Parfüm noch als Luxusartikel galt. Das zu ändern, erkor Lehmann zu seinem Unternehmensziel.

Die im Familienbetrieb selbst hergestellten Duftwässerchen werden seither in schmucklose Fläschchen abgefüllt und zu festen Grammpreisen verkauft. Auch heute ist das „Parfum nach Gewicht“ noch konkurrenzlos günstig: 10 Gramm Parfüm kosten zwischen vier und sieben Mark, für 100 Gramm Eau de Toilette muss man fünf bis sieben Mark investieren.

Vor allem nostalgische Düfte wie Maiglöckchen oder Heliotrop sind im Angebot, aber, sagt Edith Lehmann, „wir gehen auch mit der Mode“. Solch Beständigkeit wird natürlich von den Kunden honoriert: „Manche sind uns schon in der vierten Generation treu.“

„Parfums nach Gewicht“, Kantstraße 106, Charlottenburg. Montags bis freitags 9 bis 18.30 Uhr; samstags 9 bis 14 Uhr