Die Badezimmerkachel als Geißel der Menschheit

Eine überfällige Bestandsaufnahme (mit noch ungewissem Ausgang). Großer Wettbewerb für die fliesengeplagte Leserschaft

Es gibt ein paar Dinge, von denen kann man einfach nicht glauben, dass es sie noch gibt. Wir schreiben das Jahr 2001, sagt man sich, was soll schon passieren. Und dann betritt man ein Badezimmer. Und augenblicklich zerbröselt diese mühsam errungene Furchtlosigkeit gegenüber der modernen Warenwelt zu Fugenmörtel. Und erweist sich als das, was sie ist: eine halt- und verantwortungslose Selbsttäuschung, kurz: Lebenslüge.

Das ist unverständlich. Denn ihrem Wesen nach ist die Badezimmerkachel durchaus ein vollkommen unproblematischer Gegenstand: ein flaches Stück Keramik oder Porzellan. Doch davon darf man sich eben keinesfalls täuschen lassen. Schließlich ist auch die Tapete im Grunde nur ein Stück Papier und der Teppich ein Stück Polymerverbindung. Aber wie diesen beiden eignet der Badezimmerkachel eine Furcht erregende Eigenschaft: Sie zieht das Böse an. Zunächst verhunzen böse Menschen das unschuldige Material (sie nennen es Muster), und andere böse Menschen kleben das verhunzte Material dann an die Wand (sie nennen es Badezimmergestaltung). Woraufhin jeder, der mit diesem Bösen in Berührung kommt, selber böse wird. Oder verhunzt. Und das nennt man Deformation.

Zwei Beispiele: Eine Frau aus Neckargemünd, Geigerin, Liebhaberin der klassischen Musik und von feinem, zurückhaltendem Geschmack, fand in ihrer neuen Wohnung Badezimmerkacheln in Rot mit orange Kringeln vor. Alles gerade neu gemacht. Nach nur zehn Minuten Besichtigungszeit war sie bereit, sich mit den Kacheln „zu arrangieren“, und sprach in Folge gegenüber anderen Menschen von ihrem „Helge-Schneider-Kultbad“. Sie lebt schon längst nicht mehr in dieser Wohnung, spricht aber auch heute noch von „Kultbad“ und wird an diesem Defekt wohl bis an ihr Lebensende zu kauen haben. Eine andere Frau in München, sehr bodenständig und musterresistent, warf nur einen kurzen Blick auf die Badezimmerkacheln in der neuen Wohnung ihrer Schwester (siehe oben). In der darauf folgenden Nacht träumte sie, dass ihr eigenes Treppenhaus „bis oben hin“ mit ebenjenen Kacheln „verziert“ worden sei und der Hausmeister, der auch in dem Traum vorkam, einen Anzug in der Farbe der Kacheln sowie eine Krawatte in ihrem Dekor trug. Seither ist ihr Verhältnis zu diesem Mann schwer gestört, sie kann ihm „kaum noch in die Augen sehen.“

Das alles muss ein Ende haben. Aber vor dem Anfang vom Ende steht die Aufklärung. Das Böse lauert überall und hat viele Gesichter. Schauen wir ihm mitten hinein, prangern wir es an! Mitleidlos und ohne falsche Scham. Nur so ist es vielleicht zu bannen. Ich fange an: Mein Böses ist hellbeige, mit Mittelbeige marmoriert, die sternförmigen Ornamente sind tannengrün und erhaben (hier nicht im Kant’schen Sinne, sondern so viel wie: bucklig, dellig). Es erstreckt sich raumdeckend vom Boden bis unter die Decke, inklusive Waschtischablage und hinter dem Heizkörper. So.

Wie sieht Ihr Böses aus? Wie kann man damit leben? Kann man überhaupt damit leben? Schicken Sie uns ein Foto und eine kurze Farb-, Form- und Überlebensbeschreibung. Die bösesten Einsendungen werden veröffentlicht, die allerböseste ermittelt und irgendwie prämiert. Über Konsequenzen für die Übeltäter denken wir dann nach. BARBARA HÄUSLER

Die Autorin ist Wahrheitklub-Exilvorstand und folglich oberste Instanz in der Kachel-Jury. Kachelbilder bitte an die taz-Wahrheit, Stichwort: Böses, Kochstraße 18, 10969 Berlin, E-Mail: wahrheit taz.de. Beachten Sie, dass Nahaufnahmen bevorzugt werden.