Hasenjagd statt Fußball

Leere Stadien, wenig Tore, unmotivierte Spieler: Bei der Copa America in Kolumbien verkauft sich der südamerikanische Fußball unter Wert. Und ausgerechnet Brasilien spielt dabei eine Hauptrolle

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Die ambulanten Händler vor dem Stadion in Medellín verstecken ihre Argentinientrikots in Pappkartons unter ihren provisorischen Ständen. Nicht genug, dass keiner ein blau-weißes Hemd kaufen will – es gibt erst gar niemanden, der eines sehen will. Aufgebrachte Fans sollen schon mehr als einem Händler gedroht haben, seinen Stand zu verwüsten, wenn sie irgendwo einen Argentinienhut, eine Argentinienfahne oder gar ein Argentinientrikot zu Gesicht bekämen. Der Groll der Kolumbianer über die Entscheidung des Argentinischen Fußballverbands (AFA), an der Copa America aus Sicherheitsgründen nicht teilzunehmen, ist nicht zu bändigen. Bei jedem Spiel in Medellín, wo die Spiele der Argentiniengruppe C angepfiffen werden, hängen Transparente auf denen eindeutig zu lesen steht: „Argentinien = Feiglinge“.

Es ist kein Trost, dass Honduras in letzter Sekunde eingesprungen ist, um in der Gruppe C Argentinien zu vertreten. Viele Fans geben ihre Eintrittskarten zu den Argentinienspielen zurück, denn Honduras will niemand sehen. Julio Grondona, Präsident der AFA und verantwortlich für die Entscheidung des Favoriten, zu Hause zu bleiben, reagiert gelassen. „Es war zu erwarten, dass niemand mit Freude darauf reagieren würde, wenn wir absagen“, meinte der selbstherrliche AFA-Chef. Trotzig reagierte der kolumbianische Fußballkommentator Santy Martínez in seiner beliebten Radiosendung auf diese Sätze: „Wir weinen nicht um dich, Argentinien.“

Zum Weinen ist es aber allemal, was bei der diesjährigen Copa America an Fußball geboten wird. Außer Kolumbien treten alle Länder mit ihrer zweiten Mannschaft an. Auch die Zuschauer haben begriffen, dass es bei der Copa um nichts geht – und glänzen durch Abwesenheit. Selbst als Gastgeber Kolumbien am Samstagabend in der Küstenstadt Baranquilla gegen Ecuador antrat, war das Stadion nicht ausverkauft. Diejenigen, die nicht da waren, haben dann auch nichts verpasst. In einem lustlosen Spiel, dem es an sämtlichen spielerischen Raffinessen fehlte, schlug Kolumbien durch ein Zufallstor von Victor Aristizábal Ecuador mit 1:0 und so war der Schlusspfiff nach 95 Minuten eine Erlösung für Spieler wie Zuschauer. Zuvor war es zugegangen wie bei einer Hasenjagd, beide Mannschaften hatten sich redlich bemüht, ihren Rivalen zur Strecke zu bringen. Spätestens nach drei erfolgreichen Pässen wurde der Spieler, der zufälligerweise gerade den Ball am Fuß hatte, mit roher Gewalt zu Fall gebracht.

Viele Spiele laufen ähnlich ab. Und auch Brasilien, immerhin Sieger der letzten beiden Copas America, trägt wenig dazu bei, das Turnier ansehnlicher zu machen. Der Mannschaft fehlt alles, was sie einmal ausgezeichnet hat: außergewöhnliche Spieler, überraschendes Spiel, Magie. Auf dem Platz stehen elf Individualisten, die mit dem 2-5-3-System von Trainer Luis Felipe Scolari wenig anzufangen wissen. Die 0:1-Niederlage gegen Mexiko vom Donnerstag war daraus nur die logische Folge.

Letztendlich spiegelt die Nationalmannschaft nur wider, wie es derzeit um den brasilianischen Ligafußball steht: Korrupte Verbandsstrukturen, zahlungsunfähige Klubs, Mittelklassefußball eben. Sogar die WM-Qualifikation für 2002 ist in Gefahr, was eine nationale Tragödie wäre. Vielleicht aber ist gerade die nötig, damit sich endlich etwas ändert. Brasilianische Zeitungen sprechen schon heute von einer „Schande“, nennen die Spielweise „lächerlich“ und diagnostizieren den „dramatischsten Moment in der Geschichte“. Derweil versucht Trainer Scolari die Nerven zu behalten und den Spielern wieder Selbstvertrauen zu geben. „Es fehlt uns an Persönlichkeit“, sagt Scolari. Sein einziger Trost: 1929 gab es ein brasilianisches Nationalteam, das noch schlechter war.

Warum also doch noch die Spiele der Copa verfolgen? Zum Beispiel wegen Costa Ricas Stürmer Paulo Wanchope. Bei seinem Club Manchester United sitzt Wanchope nur auf der Bank, im Spiel gegen Honduras gab er eine Kostprobe dessen, was möglich wäre, wenn man ihn nur spielen ließe: Mit einem fulminanten Kopfballtor erzielte er den Siegtreffer Costa Ricas zum 1:0. Und nur ein guter Fußballgott bewahrte Honduras davor, dass Wanchope nicht noch öfter traf. Wobei allerdings eingestanden werden muss: Der Gegner hieß Honduras, nicht Argentinien.