„Ich muss meine Zeitung herausgeben!“

Nur internationaler Druck hat Dododjon Atowullojew vor der Auslieferung an Tadschikistan bewahrt. Mit der taz sprach der Journalist nun über seine Festnahme in Moskau, seine Freilassung und seine publizistischen Pläne

Am 5. Juli wurde Atowullojew bei einem Zwischenstopp in Moskau auf der Reise von Hamburg nach Taschkent verhaftet, wo er seine Mutter besuchen wollte. Die tadschikische Staatsanwaltschaft verlangte von Russland die Auslieferung des Journalisten und Herausgebers der tadschikischen Exilzeitung „Tscharogi Rus“, weil Atowullojew den tadschikischen Präsidenten beleidigt und zum Umsturz aufgerufen haben soll. Das tadschikische Staatsfernsehen hatte die Verhaftung tagelang gefeiert. Die Freilassung versetzte die tadschikische Regierung in einen Schockzustand, so ein Diplomat in Duschanbe.

taz: Wie geht es dir und deiner Familie?

Atowullojew: Ich fühle mich wie neu geboren. Als ich meine Frau und meine kleine Tochter am Flughafen in Hamburg in die Arme schloss, brach alles über mich herein. Ich hatte mich schon damit abgefunden, meine Frau Dschamila, meine neunjährige Tochter Darje und meinen fünfzehnjährigen Sohn Kishovarz nie wieder zu sehen. Mein einziger Trost war, sie wenigstens in Sicherheit zu wissen.

Du hattest fest mit deiner Auslieferung nach Tadschikistan gerechnet?

Als die Polizei mich auf dem Moskauer Flughafen Scheremetowo 1 nachts in einem überfüllten Wartesaal mit vorgehaltener Maschinenpistole wie in einem Thriller verhaftet und mir vor allen Leuten Handschellen angelegt hatte, da war noch keine Angst da. Ich dachte, dass wird sich schon aufklären. Ich zeige ihnen meinen Pass und kann gehen. Schläge und Fußtritte sind ja normal bei einer Festnahme in Russland. Am nächsten Tag wurde die Sache kritischer. Als ich dann von Sonntag bis Mittwoch mit keinem mehr sprechen konnte, auch nicht mit meinem Anwalt, da war ich sicher: Nun schicken die mich nach Tadschikistan. Zumal man mir am Mittwochmorgen noch mitteilte, dass Tadschikistan neue Vorwürfe gegen mich erhoben und behauptet hatte, ich sei sogar ein richtiger Terrorist.

Was hast du im Gefängnis gedacht?

Ich war in einer völlig ausweglosen Situation. Ich war sicher, dass man mich nach meiner Auslieferung in Tadschikistan nicht sofort umbringt. Die Mächtigen Tadschikistans hätten ihre Wut über all meine Berichte, Artikel und Interviews an mir ausgelassen. Sie hätten mich erniedrigt und dann irgendwann im Gefängnis getötet. Es war weniger Angst, die mich quälte, sondern die verdammte Ausweglosigkeit.

Wie hast du von deiner Freilassung erfahren?

Bis Mittwochmittag habe ich noch nichts gewusst. Ich wurde immer zu verschiedenen Verhören abgeholt. Doch dann wurde ich plötzlich zu einem Mann geführt, den ich als Stellvertreter des russischen Staatsanwaltes erkannte. Erst machte er mir noch Angst, doch dann interessierte er sich dafür, warum über mich so viel geschrieben wird und warum der Westen so viel Aufhebens macht. Er sagte, dass er noch nie zuvor mit so vielen Telefonanrufen überschüttet worden sei: die einen, die meine Auslieferung, und die anderen, die meine Freiheit forderten. Dann teilte er mir mit, dass Putin meine Freilassung entschieden hätte.

Warum hat Russland dich nicht ausgeliefert?

Sie haben einfach nicht mir dieser unheimlichen Protestwelle in Deutschland, Frankreich, oder Amerika gerechnet. Organisationen wie Reporter ohne Grenzen und die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte, bei denen ich und meine Familie zurzeit Gast sind, haben alles Menschenmögliche unternommen. Die klaren Worte Freimut Duves von der OSZE und vor allem die deutliche Forderung Joschka Fischers an Russland haben mir das Leben gerettet.

Wie hat die tadschikische Regierung auf deine Gefangennahme und Freilassung reagiert?

Der tadschikische Präsident war sich sicher, dass Russland mich ausliefert. Im tadschikischen Fernsehen und Radio wurde meine Verhaftung als Beweis der russisch-tadschikischen Freundschaft gefeiert, obwohl es keinen offiziellen Kommentar aus der Regierung in Duschanbe gab. Die internationalen Proteste und meine Freilassung sind ein Schock für Rachmonow und seine Bande, an dem die noch lange zu knabbern haben werden.

Welche Pläne hast du jetzt?

Meine Freilassung ist Verpflichtung. Ich muss jetzt weiterarbeiten. Vor allem muss ich meine Zeitung Tscharogi Rus herausgeben. In Moskau, wie ich das eigentlich geplant hatte, geht es nicht mehr, also muss ich die Zeitung hier in Deutschland produzieren und dann nach Tadschikistan schicken. Die Menschen dort warten auf sie.

Also nie wieder Moskau?

Genau. Als ich im Flugzeug saß und der Flieger die Landebahn Richtung Düsseldorf verließ, habe ich leicht geseufzt und mich mit folgenden Worte eines russischen Poeten verabschiedet: „Lebe wohl, mein ungewaschenes Russland!“

INTERVIEW: MARCUS BENSMANN