: Treffen im Schatten des Tadsch Mahal
Der indisch-pakistanische Gipfel in Agra führt zu einer vorsichtigen Annäherung der beiden Rivalen. Wichtigstes Thema ist der Kaschmirkonflikt. Vajpayee nimmt eine Gegeneinladung von Musharraf an. Demonstranten erinnern an die Toten von Kargil
aus Agra BERNARD IMHASLY
Das Treffen zwischen den Führern Indiens und Pakistans in der Tadsch-Mahal-Stadt Agra haben gut begonnen. Die geplante Viertelstunde Höflichkeitsaustausch zwischen dem indischen Ministerpräsidenten A. B.Vajpayee und dem pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf am Sonntagmorgen dauerte fast zwei Stunden. Das Gespräch unter vier Augen folgte keiner vorgegebenen Tagesordnung und ging weit über die Einladung an den Gastgeber zum Gegenbesuch in Pakistan hinaus.
Die Dauer des Gesprächs schien die Delegationen zu beunruhigen. Doch nach der anschließenden gemeinsamen Erklärung war die Unterhaltung „offen und konstruktiv“ und spiegelte „eine positive Bewegung“ wider. Die dürre Mitteilung schien darauf zu zielen, gegenüber den beinahe tausend Pressevertretern keine übertriebenen Spekulationen aufkommen zu lassen, die den Fortgang der Gespräche am Montag gefährden könnten. Bekannt wurde nur, dass Indien bereit war, dem Thema Kaschmir Priorität einzuräumen, und dass Musharraf offen war, auch andere Themen auf den Tisch zu bringen. Am Vortag hatte Vajpayee die Kaschmirfrage als nur ein Thema unter vielen im Rahmen eines „umfassenden Dialogs“ bezeichnet. Musharraf dagegen hatte die Lösung der Kaschmirfrage als Schlüssel zur Verbesserung der bilatralen Beziehungen bezeichnet.
Der Grundstein für den guten Beginn legten die beiden seit ihrer Gründung verfeindeten Staaten am Samstag, als Präsident Musharraf und seine Frau einen Tag lang in der Hauptstadt Delhi vor allem zeremonielle Pflichten absolvierten. Dabei stach vor allem der Besuch Musharrafs am Grabmal Mahatma Gandhis hervor. Die Geste, der sich jeder Staatsgast unterzieht, war in diesem Fall von großer symbolischer Bedeutung, da dem Mahatma in Pakistan wenig Achtung gezollt wird. Indische Kommentatoren attestierten dem General Mut, sich vor dem Apostel der Gewaltlosigkeit zu verbeugen.
Musharraf, in Indien als Architekt des Grenzkriegs von Kargil 1999 verrufen, erstaunte seine Gastgeber auch, als er beim Staatsbankett sagte, er glaube nicht, dass der Kaschmirdisput militärisch gelöst werden könne. „Er kann und muss friedlich beigelegt werden“, sagte er und fügte hinzu, die „Energien unserer Völker müssen zur Beseitigung der Armut eingesetzt werden“.
Die zahlreichen Beobachter, die aus beiden Ländern in Agra zusammengekommen waren, zeigten sich gestern überrascht über die positive Richtung, in die sich das Gipfeltreffen zu entwickeln schien. Ayaz Amir, ein bekannter Zeitungskommentator aus Islamabad, äußerte die Hoffnung, dass sich beide Länder nicht zu viele Versprechen wagen würden, die im Alltag nicht einzuhalten sind. „Das beste Resultat wäre ein gemeinsames Bekenntnis zur friedlichen Konfliktbereinigung und ein konkreter Fahrplan, wie man sie angehen will.“ M. J. Akbar, Chefredakteur der indischen Tageszeitung Asian Age, warnte, dass sich eine seit 54 Jahren vergiftete Beziehung, die auf der blutigen Teilung des Landes gründete, nicht in zwei Tagen rückgängig machen ließe, auch nicht im emotionalen Umfeld des Tadsch Mahals, des „Monuments der Liebe“.
Das Gipfeltreffen war von Protesten gegen den pakistanischen Staatschef begleitet. Rund 30 Demonstranten wurden bei dem Versuch festgenommen, in die Sperrzone des Konferenzortes vorzudringen. Sie forderten von Musharraf eine Entschädigung für die rund 1.000 Toten des Kargilkonflikts. Seit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft haben Indien und Pakistan bereits zwei Kriege um das zwischen beiden Staaten geteilte Kaschmir geführt.
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