Wie verschwand das Plutonium?

Fieberhaft suchen die Behörden nach der Sicherheitslücke bei der WAK in Karlsruhe. Greenpeace über Mängel entsetzt: „Skandal im Skandal“. BBU fordert umgehend Untersuchung. Trittin verweist auf Zuständigkeit von Baden-Württemberg

von K.-P. KLINGELSCHMITT

Susanne Ochse, Atomexpertin von Greenpeace Deutschland, ist schockiert. Dass da einer mit einem Reagenzglas voll plutoniumhaltiger Brühe unbemerkt aus der stillgelegten Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) auf dem Gelände des Kernforschungszentrums Karlsruhe (KfK) marschieren konnte, weise auf einen „eklatanten Mangel an Sicherheitseinrichtungen dort“ hin, respektive auf einen „sehr laxen Umgang mit bestehenden Sicherheitsbestimmungen“. Sie persönlich habe das zuvor für unmöglich gehalten – „mitten in Deutschland“.

Dass die Atomaufsicht in Baden-Württemberg und die Verantwortlichen im KfK bis gestern nicht genau sagen konnten, was der 49-jährige Beschäftigte einer Firma, die für das KfK tätig ist, denn tatsächlich – an allen Kontrollstellen vorbei – vom Gelände des KfK schmuggelte, ist für Ochse ein „Skandal im Skandal“. Das sieht der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) genau so. BBU-Vorstandsmitglied Eduard Bernhard jedenfalls forderte Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) auf, umgehend eine Untersuchung der „unglaublichen und skandalösen Vorfälle im KfK“ durch die externe Strahlenschutzkommission des Bundes und die Kontrollkommission der europäischen Atomaufsichtsbehörde Euratom zu veranlassen. Schließlich gehöre das KfK zu 90 Prozent dem Bundesministerium für Forschung und Technologie (MBFT).

Trittins Sprecher Michael Schroeren wies gestern darauf hin, dass die Aufsicht über die Anlage beim Land Baden-Württemberg liege. Nach dem Bericht aus Stuttgart werde man in Berlin entscheiden, ob die Reaktorsicherheitskommission die Sache untersuche und ob es Lücken in den generellen Richtlinien zur Sicherheit der Atomanlagen gebe. „Aber nirgendwo sonst wird mit Plutonium hantiert“, so Schoeren.

Auf einem ehemaligen Flugplatz der französischen Luftwaffe bei Landau war am Wochenende das Röhrchen mit der radioaktiven „braunen Flüssigkeit“, so das zuständige Landratsamt in Neustadt, gefunden worden. Der mutmaßliche Täter habe das zerbrochene und in einen Latexhandschuh gewickelte Reagenzglas dort vergraben, ließ das baden- württembergische Umweltministerium erklären. Zuvor muss der „Wahnsinnige“ (Greenpeace) das Plutonium wohl seiner Lebensgefährtin und deren Tochter in die Hände gegeben haben. Jedenfalls wurden bei Mutter und Tochter „Verstrahlungen“ diagnostiziert und verseuchte Kleider der Familie in einem Container in Landau sichergestellt.

Im Umweltministerium in Stuttgart wurde gestern betont, dass es sich bei der „braunen Brühe“ nicht um Flüssigkeit aus der „Atomsuppe“ handele. Das sind rund 70.000 Liter einer hoch radioaktiven und plutoniumhaltigen Flüssigkeit, die – abgefüllt in zwei Edelstahltanks – auf dem Gelände des KfK deponiert und ohne Kühlung hoch explosiv sind. Die WAA befindet sich – wie die anderen atomaren Einrichtungen des KfK – in der Rückbauphase. Die Spaltstoffe aus dem Kernbereich der WAA sind allerdings schon Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre im Hanauer Bundesbunker eingelagert worden. Greenpeace meinte gestern, dass es sich bei der „Brühe“ um radioaktiv verseuchtes „Spülwasser“ aus den noch zu demontierenden Rohrleitungssystemen der WAA handeln könnte. Doch das, so Susanne Ochse, sei „auch nur eine Spekulation“. Mit einem Röhrchen voll mit „Plutoniumsaft“ komme man wohl kaum durch die Kontrollschleusen. Oder doch?