Sechs Monate Haft nach Göteborger Krawallen

Erstes Urteil gegen Deutschen wegen Beteiligung an Unruhen beim EU-Gipfel. Viele Angeklagte warten noch – unter skandalösen Haftbedingungen

GÖTEBORG taz ■ Sechs Monate Haft. So lautete gestern das Urteil gegen den ersten der deutschen Demonstranten, die im Zusammenhang mit den Krawallen beim EU-Gipfel Mitte Juni in Göteborg verhaftet und angeklagt worden waren. Es fiel damit geringer aus als die von der Staatsanwaltschaft geforderten zwei bis drei Jahre, liegt aber auch einiges über dem Antrag der Verteidigung, die die verbüßte einmonatige Untersuchungshaft für ausreichend hielt.

Der Deutsche hatte in dem Verfahren einzelne Steinwürfe zugegeben, alle anderen Vorwürfe aber zurückgewiesen. Polizei und Staatsanwaltschaft hatten versucht, den 19-jährigen Abiturienten als „führenden Aktivisten“ hochzustilisieren, konnten das Gericht damit aber nicht überzeugen. Möglicherweise wird es aber noch eine weitere Anklageschrift gegen ihn geben: die Polizei glaubt ihn auf Foto- und Filmaufnahmen beim Werfen von Gegenständen identifiziert zu haben.

Ähnlich wie diesen Demonstranten, der zufällig verhaftet wurde, als er sich von einem Pistolenschuss der Polizei im Bein getroffen ins Krankenhaus begeben musste, hat die Polizei offenbar durchweg wahllos und rein zufällig verhaftet. Dabei ließ man sich offenbar nicht vom tatsächlichen Tatbeitrag zu den Unruhen leiten, sondern von leichter Identifizierbarkeit.

Keiner der Festgenommenen ist einer der sprichwörtlichen „Schwarzgekleideten“. Im Gegenteil fielen alle durch Kleidungsdetails deutlich auf – weshalb schwedische Medien der Justiz schon vorgeworfen haben, die Strategie des in Einheitskluft auftretenden „harten Kerns“ der DemonstrantInnen nachträglich zu bestätigen und zu belohnen. Die Folge: Ende letzter Woche musste die Staatsanwaltschaft gleich in zwei ihrer als „Musterverfahren“ angekündigten Prozesse Niederlagen einstecken: Im Verfahren gegen einen 26-jährigen Schweden gab es einen Freispruch mangels Beweisen. Außerdem wurden fünf angeklagte DänInnen auf freien Fuß gesetzt, da das Gericht offenbar davon ausgeht, dass deren 25-tägige Untersuchungshaft das erwartete Strafmaß mehr als abdeckt. Etwa 40 Tatverdächtige befinden sich noch in Haft.

Skandalös sind die Begleiterscheinungen vieler Verfahren. Gegen Festgenommene mit deutscher und dänischer Staatsangehörigkeit war faktisch eine Isolationshaft verhängt worden, die Justiz verwehrte ihnen wochenlang den Kontakt mit Angehörigen oder einem Anwalt ihrer Wahl. Man „vergaß“ außerdem die gesetzlich vorgeschriebene umgehende Benachrichtung der entsprechenden Auslandsvertretungen.

Als Personal der deutschen Botschaft am 5. Juli alle in Göteborg inhaftierten Deutschen besuchte, musste es feststellen, dass selbst zu diesem Zeitpunkt – fast drei Wochen nach der Festnahme – einigen noch keine Möglichkeit zum Kontakt mit ihren Angehörigen gegeben worden war. Kritische Fragen stellen lassen muss sich allerdings auch das deutsche Außenministerium, warum erst Wochen vergehen mussten, bis sie ihre diplomatische Vertretung aktivierte.

REINHARD WOLFF