Gespenster in der roten Zone

In weißen Overalls demonstrieren italienische Gipfelgegner in Genua – sie wollen ein positives Medienecho; Gewalt wie in Göteborg lehnen sie ab

aus Genua MICHAEL BRAUN

„Genova è più bella“. Auf der Plakatwand am Alten Hafen wird schon in großen Lettern Gipfelbilanz gezogen: „Genua ist schöner geworden“. Tatsächlich, es wird stündlich schöner; hunderte Arbeiter wieseln über die Promenade, pinseln Geländer, spachteln Mauerrisse, tünchen, schrauben, teeren, pflastern.

Doch in der Stadt hält sich die Freude in Grenzen. Die Genuesen haben andere Sorgen. „Und wo krieg ich meine Zeitung her?“, erkundigt sich die ältere Dame am Zeitungsstand unter den Kolonnaden am Hafen. „Weiß ich auch nicht“, kommt die ratlose Antwort. „Wir machen ab Mittwoch zu, und alle andren im Zentrum auch.“ Zum Trost versorgt der Verkäufer die Kundin gratis mit einem Merkblatt der städtischen Busbetriebe, das alle Linien auflistet, die während der Gipfeltage ihren Dienst einstellen. „Die sollen ihren Scheiß-G8 doch in der Wüste abhalten, meinetwegen im voll klimatisierten Zelt“, mischt sich ein andrer Kunde ein. „Die verwandeln Genua in eine Geisterstadt. Hier in der Altstadt sperren alle zu, der Markt auf der Piazza Statuto, die Bäcker, die Lebensmittelhändler, die Bars – alle.“

Bloß raus aus der Stadt

Wegfahren sei da die einzige Lösung, einigt sich das Grüppchen am Kiosk. Die einen gehen – die anderen sind schon da. Mal in Kampfanzug und Springerstiefeln, mal in ganz gewöhnlicher Uniform, im 30-Sekunden-Takt schlendern jeweils im Duo Carabinieri und Polizisten vorbei. Man möchte meinen, eine Schar von DDR-Grenzern habe die Diensteinweisung vorgenommen: Mit stierem Blick mustern die Uniformierten schier alle auf Verdachtsmomente, den Opi genauso wie das Mädchen in knappem Top und Minirock.

Das Blaugrau der Polizei dominiert auch den Straßenverkehr. Man muss nur dem Strom der Fahrzeuge folgen, ostwärts immer am Wasser entlang, um zum G-8-Hauptquartier der Sicherheitskräfte zu gelangen, zum Messegelände. Busse, vergitterte Mannschaftswagen, Wasserwerfer, Streifenwagen und Jeeps parken auf den Freiflächen um die große Rundhalle, und auf Tieflastern rollen gerade die Schützenpanzer der Carabinieri durchs Zufahrtstor. 18.000? 25.000? Keiner in Genua kennt so ganz genau die Stärke der in die Stadt abkommandierten Kräfte von Polizei, Carabinieri, Heer und Finanzpolizei. „Dem Bürger ein Gefühl von Sicherheit vermitteln“, lautet ihr Auftrag, und dem folgen sie. Mitten in der Altstadt, vom Balkon des prächtigen Palazzo Ducale auf der Piazza Matteotti, in dem sich ab Freitag die Mächtigen der Welt treffen, wehen schon die Banner der G-8-Staaten; am Eingang parkt der Bus des Bombenspürtrupps. Der Chronist macht sich ein paar Notizen – „Polizei, Papiere bitte“. Wären da nicht die Dienstmarke und der pralle, fast den Ärmel sprengende Bizeps, könnte der Beamte in Räuberzivil fast als Autonomer durchgehen. Ein kritischer Blick auf den Presseausweis, dann die einleuchtende Entschuldigung. „Nichts für ungut. Aber ich hab gesehen, dass Sie da was aufschreiben.“ Der Kuli als Verdachtsmoment. Die Nervosität hat ihren Grund: Gestern ist bei der Explosion einer Briefbombe ein Polizist leicht verletzt worden. Der Sprengstoff explodierte in einer Carabinieri-Kaserne. Wer die Täter sind, ist unklar.

Jene, denen der ganze Aufwand der Polizei gilt, hocken bloß ein Gässchen weiter in der Kneipe beim Kaffee: die Tute Bianche, die „weißen Overalls“. Statt in Overalls sitzen die Jungs – keiner ist älter als 30 – vorerst in Jeans herum und studieren Zeitungen. Zeitungen sind wichtig für die Tute Bianche, und Journalisten jedweder Couleur sind gern gesehene Gäste. „Hier, habt ihr die Meldung gesehen?“, fragt Matteo in die Runde. Die Meldung: Ein ligurischer Provinzbürgermeister der christdemokratischen Volkspartei hat angekündigt, auch er werde sich zur G-8-Demo den weißen Overall überstreifen. „Wir haben schon gesiegt“, setzt Matteo nach. Militanz mit positivem Medienecho – darum geht es schließlich.

Mehr als ein paar Gespenster

Von den Zapatistas haben sie das gelernt. Die hätten begriffen, dass zum Beispiel das Internet viel mehr vermöge als der geladene Revolver; schließlich sei „kein Konflikt ohne Konsens“ durchzustehen. Und dass Symbole zählen. „Die zeigen sich immer in ihren schwarzen Mützen mit den Augenschlitzen, wir in unseren weißen Overalls.“

Auf die Overalls sind sie 1994 gekommen, als Mailands Bürgermeister das besetzte Autonome Zentrum Leoncavallo räumen lassen wollte und die Besetzer als „ein paar Gespenster“ schmähte. Die „Gespenster“ kamen im weißen Overall zur Straßenschlacht mit der Polizei – und die Bewegung war geboren. „Am Freitag“, berichtet Luca Casarini, „beim Vorstoß in die rote Zone, wollen wir zusammen mit den uns befreundeten Zentren zehntausend Leute auf die Beine bringen.“ Denn umgekehrt gelte auch: „Kein Konsens ohne Konflikt.“

„Wir kriegen ordentlich Dresche“

Doch erst mal stehen Sitzungen an, im Altbaubüro der linken Freizeitorganisation ARCI und des ICS, einer gewöhnlich in Flüchtlingsfragen aktiven Organisation. Mit Straßenrandale haben die milde-pazifistisch gestimmten Aktivisten von ARCI und ICS nichts im Sinn, doch die „weißen Overalls“ werden freundlich empfangen. „Wir respektieren uns halt“, erklärt Luca. „Das Genoa Social Forum ist keine Aktionseinheit wie früher unter den K-Gruppen, wo jeder den andren hegemonisieren wollte. Im Forum können wir mit Unterschieden leben, auch mit unterschiedlichen Protestformen.“ Auch für göttlichen Beistand ist gesorgt: „Die Missionsschwestern halten eine Gebetswache. Denen haben wir nur gesagt: Schließt uns ein in euer Gebet. Wir können's brauchen.“ Klar sei nämlich auch: „Wir Tute Bianche gehen rein in die Off-Limits-Zone, und da werden wir ordentlich Dresche kriegen.“ Aber die Grenze sei klar. „Göteborg war aus unserer Sicht eine Tragödie. Diese Anarchostalinisten, die Menschenleben aufs Spiel setzen, sind meilenweit von uns entfernt. Wir schützen uns selbst, mit Polstern, mit Helmen, mit Plastikschilden. Aber wir führen keine Offensivwaffen mit. Unser Instrument sind allein unsere Körper.“

Staatlich geförderter Widerstand

Noch aber ist der Staat Verhandlungspartner. Vom ARCI-Büro machen die Tute Bianche einen Abstecher in die Grundschule „Armando Diaz“. Kabel auf den Gängen, Computer in den leeren Klassenzimmern – hier zieht das Koordinations- und Medienzentrum der G-8-Gegner ein. Die Schule und die 50 Computer hat die Region Ligurien bereitgestellt. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte kommt grade über Handy: Die Region hat die Zusage von 200.000 Mark zurückgezogen, mit denen die Dolmetscher auf dem „Social Forum“ und die Unterbringung der internationalen Referenten finanziert werden sollten. Matteos Handy klingelt noch öfter. Die Sonderzüge aus ganz Italien: bewilligt. Im Gegenzug: alle Bahnhöfe im Stadtzentrum gesperrt.

Anders als die Anarchos und Autonomen, die sich dem Genoa Social Forum nicht angeschlossen haben, sehen die Tute Bianche in der Nutzung staatlich gestellter Logistik kein Problem. „Schließlich hat keiner von uns verlangt, im Gegenzug unsere Overalls an den Nagel zu hängen“, grinst Matteo. „Wenn schon, dann entscheiden wir selbst, wann Schluss ist mit den Tute Bianche. Vielleicht schon gleich nach Genua. Wenn das breite Bündnis hier trägt, wenn hier eine neue Art entsteht, Politik zu machen, sind wir dabei. Und dann packen wir zur Not auch die tute bianche in den Schrank.“