Büchner, Bessing, Baudrillard

„Tristesse Royale“: Im Amerikahaus wurde eine Variation von „Leonce und Lena“ präsentiert  ■ Von Meike Fries

Mit 23 Jahren dauerte Georg Büchners Leben eigentlich nicht lange genug, als dass er sich wirklich hätte langweilen können. Dennoch war die Langeweile neben Lebensangst und Depression ein bestimmender Faktor im kurzen Leben des Dramatikers, Naturwissenschaftlers und politisch verfolgten Revolutionärs.

Bis zu seinem Typhus-Tod 1837 verfasste er Dramen wie Dantons Tod und Woyzeck, das Novellenfragment Lenz, die sozialrevolutionäre Kampfschrift Der hessische Landbote, eine naturwissenschaftliche Dissertation und das satirische Lustspiel Leonce und Lena. In diesem sinnieren die Nichtstuer Prinz Leonce und Freund Valerio, Slacker-Ikonen des 19. Jahrhunderts, über Langeweile und den Unsinn von Arbeit. Leonce: „Was die Leute nicht alles aus Langeweile treiben! Sie studieren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, sie verlieben, verheiraten und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich aus Langeweile, und – das ist der Humor daran – alles mit den wichtigsten Gesichtern, ohne zu merken, warum...“

Noch bis einschließlich morgen läuft im Amerikahaus das Die Wüs-te lebt-Festival junger Regisseure und Schauspieler. In seinem Rahmen hatte das Stück Tristesse Royale – Ein Leonce und Lena Déjà-vu des Regisseurs Julius Jensen Premiere. „165 Jahre nach Büchner: Neue Langeweile, neue Tristessen, und die Royale-Generation feiert sich als zynische Elite der Popkultur. Langeweile ist längst zum gesamtgesellschaftlichen Problem geworden...“ heißt es im Programmheft.

Vor einer Late-Night-Show-Kulisse probieren drei Schauspieler und zwei Schauspielerinnen sexy Posen. Es folgen verschiedene Szenen, die durch das Erklingen einer immer gleichen Fernsehmelodie eingeläutet werden. Die fünf „Selbstdarsteller“ finden sich jedes Mal mit gespielter Mühe (man läuft absichtlich gegeneinander) zu neuen Sitz-Konstellationen auf der Johannes B. Kerner-Sofa-Landschaft zusammen. Eine Stimme aus dem Off, mal als Regisseur, mal als Gott, gibt Regieanweisungen. Das Spiel entlarvt sich immer wieder selbst als Spiel („Und was machen wir jetzt?“), aber ein Ausbruch aus den Strukturen gelingt nicht.

Auf das Pfanni-Knödel-Ballett folgt eine Imitation der Love-Parade folgt eine Rezitation aus Tristesse Royale („Die Langeweile ist der Hauptfeind unserer Generation“) folgt ein Sesamstraßen-Song. Soll das jetzt postmodern und deswegen alright sein?

Zum Schluss wird noch mal rumgeschrien, werden die Möbel auf der Bühne umhergeworfen und dann liegen alle im Chaos auf dem Boden herum. Dein Stadttheater grüßt dich. Die Schauspieler werden zwar als „Selbstdarsteller“ deklariert, doch hier wird geschauspielert, bis die Schwarte kracht (mit den wichtigsten Gesichtern), als sei die Verbeamtung als Schauspieler das höchste persönliche Ziel.

Die Stimme aus dem Off verkündet, dass das Stück nun vorbei ist und lässt einen ziemlich ratlos zurück. Was war jetzt das Thema? Langeweile? Die Welt als Illusion? Verlangen nach Authentizität? Die fünf Schauspieler sitzen in Platos Höhle oder in der Truman Show und suchen Erlösung und die wirkliche Wirklichkeit. Wozu eigentlich?

Büchners Leonce und Lena war vor allem auch eine Abrechnung mit den eskapistischen Tendenzen der Romantik, die Langeweile von Leonce sah er selbst als krankhaft an. Mit anderen Worten: Georg Büchner und Tristesse Royale-Mitmischer Christian Kracht, bei dem die Langeweile System und Philosophie ist, hätten sich kaum vertragen. Letzt-endlich freut man sich eigentlich nur über das im Begleitheft abgedruckte Gespräch aus Tristesse Royale, in dem man einhellig zu dem Schluss kommt, dass das staatlich subventionierte Theater abgeschafft werden sollte.