village voice
: Berlin ist eigentlich ein Hybrid aus Wien, London und Freiburg: Die Compilation „Berlinsoulstarvation“

Funky Widersprüche

Vielleicht sollte man es mit einer öffentlichen Ausschreibung versuchen. Gesucht: der wahre, der echte Berlinsound. Die wichtigsten Clubs der Stadt könnten Abgesandte für eine amtliche Jury bereitstellen, und der Kulturminister dürfte sich überlegen, ob er die Angelegenheit zum Senf-Dazugeben nutzen soll. Es gibt zur Zeit ziemlich viele Sounds, die Berlin für sich proklamiert – das könnte langsam zu Verwirrungen führen. Es stellt sich die Frage, wer die Stadt vor all den immer sinnloseren Vereinnahmungen schützen soll. Vor kurzem war alles noch so schön übersichtlich: Es gab Berlin-Techno und vielleicht noch Urban-Dub, und alle waren zufrieden. Doch dann entdeckten vor allem englische Lifestyle-Blätter den Berlin-Mitte-Trash um Gonzales und Peaches, und an anderen Stellen wurden die Bands entdeckt, die den Nachlass der Galerie berlintokyo verwalteten. Zuletzt war die Knispelelektronik um Labels wie Morr und City Centre Offices der definitive Berlin-Sound.

Richtig überraschend kommt nun die neueste Überlegung zu Berlin in Form einer Compilation. Darin wird festgestellt, dass Berlin in Wahrheit gar nicht Berlin ist, sondern ein Hybrid aus Wien, London und Freiburg. Das mit Freiburg und London ahnte man ja schon durch Jazzanova und das Sonar-Kollektiv, deren Caipirinha-Schlürfsounds sich besonders bei Studenten mit Kreativjob-Ambitionen und bei Londons Nu-Jazz-Ikone Gilles Peterson und dessen Gefolgschaft großer Beliebtheit erfreut. Doch gepflegte Kaffeehaus-Atmosphäre und vor allem Soul, ja SOUL, mit dem unsouligen Berlin in Verbindung zu bringen, ist, als ob man Harald Juhnke mondän nennen wollte.

„Berlinsoulstarvation“ versucht es trotzdem. Die Musik von Acts wie Sebok oder Stereoton ist laut Waschzettel eine Demonstration des „Berliner Lifestyle“ und in Wahrheit „BerlinMittePrenzlauerStreetSoul“.

Aha. Doch Halt! Ganz so einfach ist es mit der Definition des neu ausgerufenen Streetsoul auf dieser Compilation auch wieder nicht. So wie man zwar die richtigen Sneakers tragen sollte, um in den After-Work-Club oder ins WMF zu kommen, Naomi Kleins „No Logo“ aber dennoch gelesen haben muss, wird unter dem Label Streetsoul alles Mögliche subsumiert. Widersprüche sind eben funky. So wie gepflegtes Hipstertum ein Patchwork aus Subversion und Mitmachen ist, ist hier auch der Fuzzel-Drum&Bass von Herrmann & Kleine mit dabei sowie der halbgare Bigbeat von Bruder & Kronstedter, besser bekannt als Mitglieder der Berliner HipHop-Marxisten Das Department. Die Neue Mitte verträgt einiges, auch musikalisch.

Letztlich läuft das Konzept der Mischmasch-Compilation aber einfach darauf hinaus: Hauptsache Berlin. Und Hauptsache elektronische Tanzmusik, die auch nur entfernt unter Hipness-Verdacht steht. Wenn das nun aber der Sound Berlins ist, Berlins Sound der Straße gar, bleibt noch zu klären, was eigentlich so aufregend an dieser Stadt ist. ANDREAS HARTMANN

Diverse: Berlinsoulstarvation Tape 1 (Potential Allstars/BMG)