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Der unberechenbare Check im System

Sobald man darüber redet, ist es schon zu spät: Die Tagung „Signale der Störung“ des Forschungskollegs „Medien und kulturelle Kommunikation“ an der Universität Köln beleuchtete die Ambivalenz der Kippfigur „Abweichung“

Für ihre Fans war es ein genialer Song, für die meisten Radiohörer schlicht Lärm. Die Single „Never understand“ der schottischen Band The Jesus and Mary Chain erregte 1985 viele Gemüter. Anders als für eine Popgruppe damals üblich, bauten die Brüder Jim und William Reid ganz bewusst störendes Gitarren-Feedback ein. Also genau die Pfeifgeräusche, die gemeinhin bei Plattenaufnahmen vermieden werden. Ständig überlagerten Störgeräusche die eingängige Melodie samt Text, so dass sich die britischen Rundfunk-Stationen weigerten, „Never understand“ zu spielen. Ein Skandal, der das Stück zum Kult machte. Wie der Poptheoretiker Eckart Schumacher sagt: „Aufgrund des Pfeifens versucht man umso mehr herauszuhören, was da drunter ist.“ Doch bald stellte sich eine typische Metamorphose der Störung ein: Künstlich erzeugter Krach wurde zum Standard, und The Jesus and Mary Chain ereilte das Schicksal aller allzu rotzigen Revoluzzer: Das System schluckte sie auf – und verließ gestärkt den Ring.

Anekdoten wie diese, in denen oft genug der pure Zufall entscheidet, was an Abweichung zur nobelpreisverdächtigen Neuerung gerät oder was als Abfall auf der Strecke bleibt, gab es mehrfach zu hören auf der zweitägigen Tagung des Kölner Forschungskollegs „Medien und kulturelle Kommunikation“. Unter dem universalen Etikett „Signale der Störung“ wollte man das Phänomen umwerten, dessen negativer Beigeschmack eine lange Tradition hat.

Im Modell der Amerikaner Claude Shannon und Warren Weaver aus den 40er-Jahren taucht der Begriff erstmals in der Informationstheorie auf. Wobei die beiden – vom Zweiten Weltkrieg geprägten – Wissenschaftler ein Freund-Feind-Schema entwarfen. Eine Botschaft wird zum Schutz vor unliebsamen Mithörern verschlüsselt, bevor man sie verschickt. So simpel sich das Diagramm liest, so deutlich zeigt es, wie untrennbar „Störung“ und „Entstörung“ miteinander verflochten sind. Da Informationen Codes unterliegen, beinhaltet Kommunikation zwangsläufig immer auch ihr Scheitern. Was als „Nachricht“ und was als „Rauschen“ beim Empfänger ankommt, hängt allein vom jeweiligen Standpunkt ab, wie Erhard Schüttpelz einführend feststellte.

Und Schüttpelz machte damit auf ein Dilemma der Medientheorie aufmerksam, deren Betrachtung sich „in den Vorurteilen einer linearisierten Schrift“ ergehe. Auf diese Weise bedrohen nicht nur die neuen Medien die herkömmlichen Wahrnehmungsweisen, sondern behindert umgekehrt auch die eingeprobte, akademische Sicht, den technischen Innovationen gerecht zu werden. Anhand der Abweichung aber lässt sich die Norm am besten studieren. Und Gleiches gilt, wenn ein Medium ein anderes stört.

Das Signal einer Störung? Tatsächlich lässt uns erst die Annahme eines störungsfreien Ablaufs überhaupt nur seine Unterbrechung empfinden. In anderen Worten: Die Störung bedarf des Beobachters. Und nur die wenigsten würden wohl unsere Alltagssprache als „gestört“ bezeichnen, obwohl sie sich nach Analyse des Linguisten Ludwig Jäger wesentlich aus Reparaturmaßnahmen zusammensetzt. Das Kleist’sche Verfertigen der Gedanken beim Reden ist die Regel, was den meisten jedoch gar nicht bewusst wird. Denn ein Stocken im Gespräch hilft uns eher, als dass es uns verunsichert. Es gibt uns Gelegenheit, das Gesagte zu überprüfen.

Die Irritation ist gleichsam der Check im System, und ohne Irritationen, das wurde übergreifend deutlich, ist keine Ordnung auf Dauer überlebensfähig. In psychologischer Hinsicht erinnerte der Chicagoer Literaturwissenschaftler Samuel Weber da an Konstantin, den tragischen Helden von Sören Kierkegaard, den im Zustand vollkommenen Wohlbefindens plötzlich ein Augenjucken überfällt. Konstantin, der namenshörig „konstant“ bleiben will, versucht, sein Glückserlebnis durch Wiederholung wiederherzustellen, was natürlich notwendig scheitern muss. Die Überrumplung durch das Unerwartete wird für ihn zur Metapher der eigenen Sterblichkeit.

Und der effektivste Störer ist der, der wie im Fall Konstantins schon im Körper seines Opfers haust. Es ist der Parasit im Sinne Michel Serres’, der um die Schwachstellen weiß und sie zu nutzen versteht. Folgerichtig definierte Eva Horn (Frankfurt) die Sabotage als den vielversprechendsten, politischen Eingriff. Wer den neuralgischen Punkt der Macht findet und seinen Finger hineinlegt, für den erledigt die eingeschliffene Maschinerie den Rest ganz alleine. Repräsentative Formen wie Demonstrationen und Streiks hingegen verpuffen allzu oft wirkungslos. Als Varianten des gezähmten Widerstandes bleiben sie zumeist harmlos wie das Hinweisschild „Störungsdienst“, das auf einem Süßwarenautomaten an der U-Bahn-Station Senefelderplatz pappt, von dem Peter Geimer (Max-Planck- Institut Berlin) berichtete.

Mit Blick auf die Fotografiegeschichte, die Geimer als eine Geschichte von Unfällen wertete, hieß seine provokante These: Wenn das Signal kommt, ist es für die Störung eigentlich schon zu spät. Dann kann man sie nur noch im Rückblick diagnostizieren. Dann haben die „Dämonen der Physik und Fotochemie“ in den Dunkelkammern bereits ihre „Schlieren, Schleier und Unschärfen“ hinterlassen. Dann erst fällt „das Zeug“ auf. Geimer betonte also die pseudoreligiöse Dimension des Fehlversuchs: Wie das Wunder kann man ihn nicht absichtlich herstellen und stets nur im Nachhinein verkünden. GISA FUNK

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