harald fricke über Shopping
: Wo Papa nicht weiß, was Miete heißt

Im linken Milieu wird geboren, gebaut und gekauft. Für das Leben im Eigenheim hat man sich in WGs vorbereitet

Die Rechnung ist ganz einfach, sagt D. „Es reicht, wenn du 90.000 hast, dann gibt die Bank den Rest dazu.“ Das klang nicht überzeugend, schließlich kannte D. mein Gehalt. Gegen solche Bedenken bestellte er nochmal Bier und meinte leicht belustigt: „Das sind für die doch alles keine Beträge. Du hast einen festen Job, das reicht als Sicherheit völlig aus.“ Mein Gott, über was für einen Quatsch redeten wir da eigentlich? Tatsächlich hatte in der Annonce bloß gestanden, dass die Wohnung zu verkaufen sei: drei Zimmer, in Top-Lage, am Chamissoplatz in Kreuzberg.

Klar, 199.000 Mark, das ist billig für eine Eigentumswohnung in Berlin. Nur leider ist Eigentum allein nicht bewohnbar, da kommen Nebenkosten für Strom, Gas, Wasser, Heizung und Hausmeister dazu, macht im Monat weitere 400 bis 500 Mark. Und natürlich müssten auch die 90.000 Mark Anschub von privat zusätzlich als Kredit aufgenommen werden. Jeden Monat würden also drei Überweisungen mehr als die Hälfte des Gehalts wegfressen für die nächsten 18, 20 Jahre ... Kurz vor der Rente hätte mir demnach eine Wohnung gehört, von der sich auf den Immobilienseiten der folgenden Wochenendausgabe des Tagesspiegels herausstellte, dass sie souterrain lag. Was für ein Glück! Immerhin war ich knapp der lebenslangen Existenz in einem Kellerloch entgangen.

Die Woche war dennoch deprimierend. Es hat etwas Erbärmliches, wenn man über die eher bescheidenen Verhältnisse nachdenkt, in denen man wohnt. Wer es mit Ende dreißig nicht zum Besitz einer Wohnung, wenn nicht eines Hauses geschafft hat, der gehört praktisch zum Bodensatz der Gesellschaft. In der Werbung sitzen derweil junge Väter auf der Couch und lesen Zeitung, der Sohn fährt vergnügt auf dem Dreirad über den Parkettfußboden. Dann stellt er plötzlich seine Frage: „Papa, was bedeutet Miete?“ Und während Papa das schreckliche Wort nicht erklären kann, hofft man selbst sehr inständig, dass der eigene Sohn gerade mit seinen Pokémon-Karten beschäftigt war und nicht zugehört hat. Noch besser ist es, man hat erst gar keine Kinder, die sich beklagen könnten, weil ihre Spielkameraden einen Swimmingpool hinter dem Häuschen am Stadtrand stehen haben, während sie von ihrem Zimmer aus auf ein Dutzend Mülltonnen im Hof der Moabiter Mietskaserne gucken.

Doch, doch, die Verhältnisse haben sich geändert. Im linken Milieu wird geboren, gebaut und gekauft nach den kurzen Sommern der Jugend, die man in WGs verbrachte. Dort ist man so gut sozialisiert worden, dass es auch in der Hausgemeinschaft mit anderen Neueigentümern klappt. Ansonsten gelten die Regeln von früher, wie bei den Eltern: Musik nur auf Zimmerlautstärke; Wäsche nicht nach acht Uhr waschen; Hunde an der Leine zu führen. Dafür hat man dann 200.000 Mark Schulden, wie alle anderen auch.

Wer dagegen das Alleinsein vorzieht, muss sich auf einen harten Preiskampf einstellen. Singles dürfen für eine 25 Quadratmeter große Wohnküche in Hamburg oder Berlin ein Vermögen hinblättern: Den Blick auf das Kanzleramt oder Schilys Innenministerium bekommt man jedenfalls nicht unter einer viertel Million. Der Mangel mag darin begründet liegen, dass Berlin seit Mitte der 90er-Jahre kaum Subventionen für Sozialbauten ausgibt. Seither hat die Stadt das Feld privaten Investoren überlassen, wie schon den Umbau des öffentlichen Raums.

Besonders beliebt sind neuerdings kombinierte Wohn- und Arbeitsplätze in renovierten Gewerbehöfen: Weil man dort ganz bei sich sein kann – auf dem Sofa, am Computer. So viel Entfremdung muss sein. Dann gehe ich doch auf dem Weg vom Büro in mein vermufftes Zuhause lieber ins Kino oder in eine Kneipe. Dort kann man sowieso am besten mit gleichgesinnten Losern über Eigentumswohnungen und andere verpasste Chancen reden. Denn es ist am Ende nicht Besitz, sondern Frust, der verbindet.

P. S.: Nach dem Gespräch über Status quo und fehlende Kredite stand ein obdachloser Punk mit seinem Hund in der U-Bahn und verkaufte die Straßenzeitung Motz. Freundlich bat er um eine Spende – wenigstens für seinen Hund. Zwei junge Frauen mit Kind, die sich gegenübersaßen, wussten sofort, was zu tun war. Sie haben den Hund ganz liebevoll gestreichelt.