Verzicht auf Repräsentation

Keine Erinnerung, keine Geschichte, keine Geometrie: Unter dem Titel „Über das Erhabene“ zeigt die Deutsche Guggenheim Berlin mit Mark Rothko, Ives Klein und James Turrell drei Meister der Farbe und des Lichts und der Entleerung der Malerei

Vom Zwiespalt, am Absoluten teilhaben zu wollen und andererseits das System Kunst zu parodieren

Kunst ist angreifbar. Sie ist ja nur ein bisschen Farbe auf Leinwand, verletzlich und fragil, pure Behauptung und nirgendwo ein Beweis. 1949 malte Mark Rothko ein Bild, „Untitled“, wie viele der folgenden, das dies ganze Wagnis offen legte. Die Leinwand schimmert durch die dünnen Farblasuren in Weiß, Gelb, Rot und Orange. Keine Konturen halten die Farbfelder zusammen, an den Rändern versickert die Farbe wie Wasser im Sand, nur einmal donnert violett ein Balken quer und hält das dunklere Rot davon ab, ganz ins Orange überzufließen. Nichts mehr von Geometrie, von Gegenständen gar. Selbst Fläche und Raum verlieren in diesen leuchtenden Farbschleiern und glühenden Tiefen ihre Unterscheidbarkeit. Die Malerei war bei sich selbst angekommen.

Rothkos „Untitled“ ist das älteste Bild in der Ausstellung „Über das Erhabene“. Es markiert den Anfang eines Diskurses, in dem die Maler New Yorks den Ballast der westeuropäischen Kunst, die mit den Emigranten bis vor ihre Haustür gelangt war, abstreifen wollten. Rothko benannte in theoretischen Aufsätzen „Erinnerung, Geschichte und Geometrie“ als Hindernisse, die es zu beseitigen galt auf dem Weg zu neuen Möglichkeiten.

Er wusste, wovon er sprach. Bis in die 40er-Jahre hinein hatte der 1903 in Russland geborene Maler doch selbst gegenständlich und expressiv mythologische Themen bearbeitet. Auf all diese Vorwände als Anlass des Malerischen zu verzichten, forderte Mut. Mit dem Begriff des Sublimen und dem Anspruch des Transzendenten verteidigten Rothko und andere New Yorker Künstler die Entleerung der Malerei vom Bezug zur gegenständlichen Welt. Das Erhabene trat hier als Schutzmacht einer Kunst auf, die mit dem Verzicht auf Repräsentation ihrer früheren Bündnispartner nicht mehr sicher sein konnte.

Im Katalog der Ausstellung „Über das Erhabene“ fassen die Kuratorin Tracey Bashkoff und der Kunsthistoriker Robert Rosenblum die Begriffsgeschichte des Erhabenen zusammen. Seit Edmund Burkes Schriften im 18. Jahrhundert beschäftigt es Philosophen und Kunsttheoretiker in seinem Verhältnis zum Schönen. Es wird zu einem Gegenpol, der das eine nicht ohne das andere erfahren lässt. In der Ökonomie der Affekte steht das Erhabene für das Unfassbare und Unerreichbare, die Suche nach einer Grenzerfahrung, die immer auch die Möglichkeit des Scheiterns einschließt. Den Romantikern der Alten und Neuen Welt begegnete es in den Naturgewalten und dem Bild der Landschaft. Erst die Moderne wollte vom Erhabenen wenig wissen, das mit seinen Konnotationen des Majestätischen und dem Griff nach dem Ganzen wenig zu ihrer Erfahrung eines zersplitterten Weltbildes passte. Deshalb war die Auferstehung dieses auch religiös und mystisch aufgeladenen Erlebens von Kunst in den USA gewissermaßen auch eine Überraschung.

Von diesem Zwiespalt, am Absoluten teilhaben zu wollen und andererseits das System Kunst zu parodieren, ist Yves Klein bewegt. Rücksichtsloser noch als Rothko rückte er als Terminator gegen alles Benennbare und Differenzierbare vor, um ins Grenzenlose vorzustoßen. Es gab für ihn nur noch eine Farbe, patentiert als Yves Klein Bleu, nach einem Spezialrezept aus Ultramarin und Kunstharz gefertigt. Doch seine drei Bilder vom Beginn der Sechzigerjahre wirken nicht nur monochrom, sondern auch monoton nach den fünf Leinwänden von Rothko. Man braucht keine Zeit, um sie anzuschauen. Während sich bei Rothko jedes Mal eine neue Schöpfungsgeschichte zu ereignen scheint, mit der Scheidung von Licht und Dunkelheit und Farbe schwebt, glüht und pulsiert, ist sie bei Klein fest gebacken. Sein Konzept, alle Lebensbereiche zu durchdringen, ist in diesen Bildern zum Rezept erstarrt.

In der Geschichte des Erhabenen darf James Turrell nicht fehlen, der mit seinen inszenierten Blicken in den Himmel über der Wüste aus dem Krater erloschener Vulkane den Schauer vor der Großartigkeit des Universums an den Erlebnisort Landschaft zurückgebracht hat. Seine frühe Installation „Afrum I“ von 1967 war zwar ein Meilenstein in der Entwicklung der Lichtinstallationen: Das Licht, das durch eine Schablone in eine Ecke des Raums projiziert wird, erzeugt die Vorstellung eines voluminösen Lichtkörpers.

Doch ihre Umsetzung in der Halle, die das Guggenheim Museum zusammen mit der Deutschen Bank nutzt, wirkt wie ein optisches Experiment des kleinen Technikus. Da zieht der Aufwand, um den Schein des Fragilen zu erzeugen, mehr Aufmerksamkeit an sich als dieser selbst. Manche Erlebnisse lassen sich eben nicht auf Dauer erhalten oder rekonstruieren. KATRIN BETTINA MÜLLER

Bis 7. 10., täglich 11 bis 20 Uhr, Deutsche Guggenheim Berlin, Unter den Linden 13–15. Katalog: 49 DM