Die „Hunde“ und die Ölmillionäre

Angolas Regierung räumt mit Gewalt ein etabliertes Wohnviertel der Hauptstadt Luanda, um eine Luxussiedlung zu bauen. Berichterstattung darüber ist in Angola unerwünscht: Der Autor dieses Berichts wurde wegen seiner Recherche verhaftet

aus Luanda RAFAEL MARQUES

„Einfache Hunde in den Augen der Mächtigen.“ So beschreibt Ana, Bewohnerin des Stadtviertels Boavista in Angolas Hauptstadt Luanda, sich, ihre Familie und ihre Nachbarn. Anas drei Kinder waren in ihrem Haus, als am Morgen des 8. Juli die Polizei kam, um es abzureißen. Es brauchte viel Zeit und Streit, um das zu verhindern und Haus und Kinder vorerst zu verschonen.

Geschockt über die Brutalität der Polizei, begann Ana danach, ihr 20.000 US-Dollar teures Haus selbst abzureißen. „Wenn wir aus Protest drin wohnen bleiben, wird die Polizei es kaputtmachen, obwohl wir noch drin sind“, sagt Ana. „In ihren Augen sind wir Hunde. Sie haben nicht den geringsten Respekt für die Menschen.“

Boavista, ein über 30 Jahre altes Viertel von Luanda, wurde am frühen Morgen des 8. Juli Opfer eines Angriffs der besten Soldaten Angolas: Schnelle Eingreifpolizei, Kommandoeinheiten, Kavallerie, Hundestaffel, Lastwagen mit Anti-Terror-Bewaffnung. „Die Streitkräfte kamen bei Sonnenaufgang“, berichtet Anwohner Nunes Matateu. „Sie schlugen die Frauen, die gerade Wasser holen waren, und sogar Menschen, die einfach aus ihrem Haus zur Latrine gingen.“

So eine Streitmacht stellt die Regierung sonst nicht einmal für die delikaten Militäroperationen gegen die Unita-Rebellen zusammen. Als die Unita im Mai die Provinzhauptstadt Caxito 60 Kilometer nördlich von Luanda einige Stunden lang besetzte, waren die von der Regierung entsandten Truppenverstärkungen mit der Kriegsmaschinerie von Boavista nicht zu vergleichen. In Angola ist vieles schwer zu verstehen.

Es müssen in Boavista sehr mächtige Interessen am Werk sein, um so ein irrationales Verhalten seitens des Regimes herbeizuführen. Boavista liegt wenige Autominuten vom Stadtzentrum entfernt in einem Dreieck zwischen Luandas Millionärs- und Diplomatenviertel Miramar, dem Markt von Roque Santeiro und dem Hafen. Von Boavista aus hat man eine wunderbare Sicht auf die geschwungene Bucht von Luanda und den Ozean. Der Boden von Boavista ist viele Millionen wert. Es gibt sogar in Teilen des Viertels Strom und Wasser. Aber die meisten Leute leben in denselben Slumbedingungen wie alle 3,5 Millionen Einwohner der angolanischen Hauptstadt, ohne sanitäre Infrastruktur und mit offenen Abwässerkanälen. Am steilen Berghang Richtung Miramar stehen die Häuser direkt auf Müllhaufen. Hier starben beim letzten schweren Regenguss elf Menschen bei einem Erdrutsch.

Aber nicht diese Hütten werden jetzt abgerissen, sondern die Ziegelsteinhäuser im attraktivsten, flachen Teil von Boavista. Hier leben Ärzte, Ingenieure, Offiziere, viele seit über 25 Jahren; sie zahlen Grundsteuer und haben offizielle Baugenehmigungen. Ambrosio Matateu, Generalstaatsanwalt der südangolanischen Stadt Xangongo, hat für den Bau seines Hauses 37.000 US-Dollar ausgegeben. „Wie kann ich Gerechtigkeit walten lassen, wenn ich diese Ungerechtigkeit nicht verstehe?“, fragt er.

Matateu hätte im März die Sonderausgabe der Hauszeitschrift von Angolas staatlicher Ölgesellschaft „Sonangol“ lesen sollen. Die Firma, deren Milliardeneinkünfte aus dem Ölexport Angolas Regime am Leben erhalten, stellte ein Projekt vor, Boavista zu „verwandeln“. Es solle ein Geschäftszentrum und ein neues Wohnviertel mit „Freizeitclubs, Restaurant, Bar, Supermarkt, Schwimmbad, Wäscherei und Kabelfernsehen“ entstehen. Der Vizedirektor der Sonangol-Tochter Sonils nannte das Projekt eine „Herausforderung, bei der die Provinzregierung von Luanda ein ökonomisches Wohnviertel für die Umsiedlung der Leute in Boavista bauen muss“.

Sonangol mag das mächtigste Unternehmen Angolas sein, aber das Firmeninteresse reicht wohl nicht aus, um massive Gewaltanwendung gegen ein ganzes Stadtviertel zu begründen. Es müssen mächtige Privatinteressen aus dem obersten Herrschaftszirkel im Spiel sein.

Offiziell wird die Abrissaktion mit „gefährlichen Bodenbedingungen“ aufgrund schwerer Regenfälle begründet. Sie begann am 1. Juli. Es gab davor weder einen gerichtlichen Räumungsbefehl noch Versuche der gütlichen Einigung mit den Bewohnern. Bei dieser ersten Aktion tötete die Polizei zwei Menschen, einer von ihnen ein alter Mann in seinem Haus. Die Anwohner errichteten Straßensperren aus brennenden Bäumen direkt vor der brasilianischen Botschaft, woraufhin die Polizei Hubschrauber einsetzte.

Acht Menschen wurden zwei Tage bei Hausdurchsuchungen verhaftet. Die Polizei sagte, sie habe illegale Waffen eingesammelt. Rechtsanwalt David Mendes widerspricht: „Die beschlagnahmten Waffen gehörten der Polizei. Es ist nicht das erste Mal, dass die Polizei Beweismaterial fälscht, um Leute zu belasten.“ In den letzten Jahren hat Angolas Regierung in großem Stil Waffen unter der Bevölkerung der Hauptstadt verteilt, um Milizen gegen eventuell infiltrierende Unita-Rebellen aufzustellen.

Angolas Regierung sagt gerne: „Das angolanische Volk ist wunderbar, weil es so viel Leid erträgt.“ Eigentlich ist dieser Spruch auf den andauernden Krieg gemünzt. Nun plant die Regierung, 13.000 Menschen aus Boavista in eine 44 Kilometer von Luanda entfernte Zeltstadt zu deportieren. Bisher gibt es dort 118 Zelte, kein sauberes Wasser und ein paar offene Latrinen. Als Stromversorgung gibt es nur einen Generator, an den ein Fernseher unter freiem Himmel angeschlossen ist. Jede Familie soll von der Regierung ein paar Dosen Lebensmittel und ein paar Kilogramm Reis und Bohnen erhalten. Einige kriegen sogar Decken.

Nunes, ein 33-jähriger Grundschullehrer, lebt schon in der Zeltstadt und wird jetzt arbeitslos. Das Fahrgeld bis zu seinem Arbeitsplatz beträgt 93 US-Dollar im Monat – sein Gehalt sind 50 Dollar. Er hat eine Frau, zwei Kinder und fünf verwaiste Neffen. Sie können so nicht überleben. Das Zeltlager ist eine Art Gefängnis, für auswärtige Besucher gesperrt, und wer es für länger als einen Tag verlässt, verliert alle staatlichen Zuwendungen.

Aus Angst davor beginnen jetzt die Bewohner von Boavista, ihre Häuser selber zu zerstören und wegzuziehen. Aber vielleicht haben nicht alle Angst. In Boavista leben viele Soldaten und Polizisten, die gut schießen können.